INTERVIEW: Doris Dörrie über ihren neuen Film Freibad

INTERVIEW: Doris Dörrie über ihren neuen Film Freibad
In ihrem neusten Film taucht Doris Dörrie ein in den Mikrokosmos Freibad, und treibt nicht zuletzt den Kulturkampf, die Selbstbestimmung und die Geschlechterfragen auf die Spitze. Im Interview mit gay.ch spricht die Filmemacherin ebenso über die aktuelle Debatte rund um Oben ohne im Schwimmbad, über Diversität beim Casting und über den Schweizbezug ihres neusten Kinofilms.

Der Sommer war ausgesprochen heiss, und so kochen auch die Gemüter im Freibad hoch. Es geht um persönliche Freiheiten, um Toleranz gegenüber anderen, um Rechte einfordern und nachgeben. Inspiriert von tatsächlichen Vorkommnissen im einzigen Frauen-Freibad in Deutschland unweit der Schweizer Grenze in Freiburg, treibt es Doris Dörrie in ihrem Kinofilm bis zur vollkommenen, handgreiflichen Eskalation.

Im ersten Teil des Films werden dabei sämtliche Klischees teilweise überaus flach abgearbeitet, was gerade für bestimmte Gruppen und Minderheiten durchaus verletztend ist, oder zumindest sein kann. Andererseits zeigt jedoch auch gerade diese Konfrontation mit Vorurteilen und unüberlegten Äusserungen, dass wir im Alltag hin zu Toleranz und vor allem Azeptanz noch einen langen Weg vor uns haben.

Als dann nach all den Querelen die Bademeisterin ihren Job genervt hinschmeisst, bekommt der Film eine neue, spannende Dimension. Die einzelnen Konflikte werden vertieft: Themen wie die Burka und das Burkaverbot werden ebenso angesprochen, wie das Ausüben der Religion innerhalb der Familie, Body Shaming oder sogenannte Safe Spaces für verschiedenste Communities. Wie damals in Freiburg in echt, so wird auch in "Freibad" schliesslich ein Mann als Bademeister eingestellt, was zusätzlichen Zündstoff für das Frauen-Freibad bietet.

Im Interview mit gay.ch erklärt Doris Dörrie, was sie von der aktuellen Debatte rund um Freibäder hält, die insbesondere in diesem Sommer äusserst hitzig geführt wurde, sie mahnt zur Vorsicht, wenn es um den Begriff "Cancel Culture" geht und erklärt, weshalb für sie Diversität im Film so enorm wichtig ist.

gay.ch: Das Thema von Freibad war und ist auch in diesem Sommer wieder topaktuell: Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen und was halten Sie persönlich von der aktuellen Debatte?
Doris Dörrie: Das Thema ist dieses Jahr besonders hochgekocht, da es ein paar Prügeleien in Freibädern in Berlin und anderen Städten gab. Dies gab es letztes Jahr aber eigentlich auch, als die Bäder nach der Pandemie wieder offen hatten. Ich finde, dass man da genau hinschauen muss, und dass dies derzeit gerade auch sehr stark benutzt wird, um auf Gruppen hinzuweisen, welche diese Freibäder stören, und da muss man vorsichtig sein, von welcher Seite dies kommt, und wer das so interpretiert. Ich glaube, dass der Sommer sehr heiss ist und diese Konflikte überall auftauchen könnten. Jetzt sind sie im Freibad aufgetaucht, da dies einer der wenigen Orte ist, wo auch viele verschiedene Menschen aufeinandertreffen können. Ich denke, es ist nicht so schlimm wie es gerade hochgekocht wird.

Und die Diskussionen um Oben-Ohne und Burkini?
Dies finde ich persönlich viel interessanter, weil es da immer wieder um die Selbstbestimmung des weiblichen Körpers geht, und dies ist auch ein zentrales Thema unseres Films.

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Sie haben selber am Drehbuch geschrieben: Konnten Sie dabei auch persönliche Erlebnisse im Freibad einfliessen lassen?
Direkte Erlebnisse nicht, aber der Film basiert lose auf Vorkommnissen im einzigen Frauen-Freibad Deutschlands in Freiburg vor inzwischen vier Jahren. Dies war für mich der Anlass das Drehbuch zu schreiben. Es ist eine grossartige Metapher darauf, wie Demokratie funktioniert, oder eben auch nicht funktioniert, wenn verschiedenste Gruppen versuchen dieses Freibad zu manipulieren, oder auch das Recht des Stärkeren versuchen durchzusetzen. Die persönlichen Erlebnisse sind dabei die kleinen Details, da ich selber schon sehr lange ins Freibad gehe und sehr genau hinschaue. Diese kleinen Reibereien, die kenne ich natürlich auch, klar.

Die Frage der Toleranz steht im Film im Mittelpunkt und was sich im Freibad im kleinen abspielt, kann man auch auf unsere Gesellschaft projizieren: Was halten Sie von den Diskussionen um die aktuelle „Cancel Culture“?
Mit dem Begriff der "Cancel Culture" muss man sehr vorsichtig umgehen, da der tatsächlich aus der rechten Ecke kommt. Dieses permanente Geschrei darüber, was nun alles "gecancelled" werden soll, auch da muss man sehr genau hinschauen, denn andersrum ist es auch so, dass viele Gruppen über viele Jahrhunderte "gecancelled" wurden, insofern, dass sie gar keine Stimme hatten. Wenn sich das nun langsam verändert, und wenn es auch um eine gerechtere Teilhabe geht, und da vielleicht auch anders diskutiert wird, dann finde ich das in erster Linie einen grossen Gewinn. Dass es manchmal übers Ziel hinausschiesst, dass es manchmal auch dämlich wird, auch ärgerlich, dass ist sicherlich so. Daraus aber gleich eine Kultur abzuleiten, eine "Cancel"-Kultur, das halte ich für Quatsch.

Der Film hat unter anderem mit dem Burka-Verbot und zwei Schweizer Schauspielerinnen auch einen Schweizbezug...
Ja, das Burkaverbot, das hat eine Rolle gespielt, weil ich das auch interessant fand, auch die Diskussion, die es dazu in der Schweiz gab, auch unter alten linken Feministinnen, welche durchaus auch für das Burkaverbot gestimmt haben. Diese Diskussion gibt es in Deutschland auch, und dies war sehr entscheidend für die beiden Figuren von Eva und Gaby, besonders Eva. Lustigerweise kam dann durch die Besetzung der Bademeisterin und der "Chefin" der arabischen Gruppe das schweizerische Element ins Spiel, weil beide aus der Schweiz kommen. Das fand ich wunderbar, dass man darüber nochmals eine andere Kommunikation erzählen konnte, und dass die Beiden, bei denen man es ja nicht glauben würde, dann schwiizerdütsch miteinander sprechen können. Das fand ich sehr lustig.

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Das Drehbuch setzt ja auch einen äusserst diversen Cast voraus: War dieser Prozess diesmal aufwändiger als bei anderen Filmen und wie sind Sie diesbezüglich vorgegangen?
Das Thema der Diversität habe ich schon immer gehabt und dies spielt bei all meinen Filmen stets eine Rolle. Immer immer immer, war das ein grosses Anliegen für mich, egal worum es ging, ob bei "Keiner liebt dich", "Happy Birthday Türke", "Alles inklusive", da ging es um Genderfragen, bei "Kirschblüten", also wirklich in allen Filmen ging es immer um Diversität und Marginalisierung, deshalb ist es für mich nichts Neues, und dass der Cast divers sein würde, war eh klar. Ich glaube aber, dass es wirklich wichtig ist, sehr genau darauf zu schauen, und ich freue mich sehr, dass wir da doch so langsam Fortschritte machen. Dass die sehr, sehr diverse deutsche Gesellschaft, dann endlich auch mal so abgebildet wird in den Filmen, im Fernsehen und auf den Streaming Diensten, wie sie tatsächlich ist. Da habe ich ganz lange das Gefühl gehabt, dass dies überhaupt nichts miteinander zu tun hat, dass wir in der Abbildung immer eine komplett homogene, weisse Gesellschaft behaupten, die es so schon ewig nicht mehr gibt - und zum Glück nicht mehr gibt. Wenn es so wäre, dann wäre Deutschland das langweiligste Land der Welt.

Freibad ist eine Green Production: Wie sah dies konkret an ihrem Set aus?
Das war ein wichtiges Anliegen von mir, und ich habe schon seit Ewigkeiten immer alle aufgefordert, etwa das Wasser aus dem Hahn, also Hahnenwasser, zu trinken, was tatsächlich sehr gut ist, in München zum Beispiel. Doch das war immer sehr schwierig, viele waren da zu faul oder haben es nicht eingesehen. Jetzt endlich hatten wir einen Wasserspender am Drehort, und wir hatten einen Generator, der mit Solarenergie betrieben wurde. Auch diese Dinge haben ewig gebraucht, doch sie finden langsam mehr Eingang, damit auch die Filmproduktionen nachhaltiger wird.

Genre:
Komödie

Filmlänge:
102 Minuten

Regie:
Doris Dörrie

Cast:
Sabrina Amali, Lisa Wagner, Andrea Sawatzki, Ilknur Boyraz, Nilam Farooq, Maria Happel, Samuel Schneider, Julia Jendrossek, Sema Poyraz, Nico Stank, uam.

Kinostart:
1. September 2022

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© Hauptbild - Doris Dörrie: Constantin Film / Mathias Bothor