INTERVIEW: Lionel Baier
gay.ch: Wie ist deine persönliche Einstellung zum Tod?
Lionel Baier: Ich finde gut, dass es den Tod gibt. Ich denke jeden Tag daran. Nicht, dass ich depressiv wäre, oder so. Der Tod gibt uns im Leben eine Grenze vor. Ohne diese Grenzen würden wir vielleicht viele Dinge gar nicht tun. Es gäbe vielleicht keine Filme oder keine Musik und andere Dinge, wie es sie so in dieser Form gibt.
Wie bist du auf die Idee gekommen, eine Story zu schreiben, mit so vielen Verwirrungen zwischen den Hauptfiguren?
Ich habe einen Mann aus Afrika gekannt, der das fast genauso erlebt hat: Er war als Stricher tätig, als im Zimmer neben an ein Mann war, der mit Sterbebegleitung, seinem Leben ein Ende setzten wollte. Und auch hier: Der suizidwillige Mann wollte ihn als Zeuge. Mit dem Unterschied, dass der Afrikaner nicht auf das Angebot eingegangen ist. Er war mit der Situation schlicht überfordert, weil in seiner Heimat jeder alles daran setzen würde, um zu überleben, und nun war er plötzlich mit dem Gegenteil konfrontiert.
Der Callboy in deinem Film ist aber ein Russe. Wolltest du damit die Situation der LGBTI-Community in Russland aufgreifen?
Es war spannend einen Callboy aus Russland zu haben, weil man da ja quasi nicht darüber sprechen darf. Der Schauspieler wohnt zwar in der Schweiz, doch er hat bulgarische Wurzeln. Seiner Mutter hat er nicht erzählt, dass er im Film einen Callboy spielt. Sie hat das erst an der Premiere gesehen und sie stand deshalb mit grossen Augen da... Ganz am Anfang war er noch unbeholfen, wie er als Hetero diesen Callboy spielen soll. Ich habe ihm dann gesagt, das spiele gar keine Rolle, dass dieser Callboy nur männliche Kundschaft hat, denn das sei genauso, wie wenn er eine Kundin haben würde, die ihm überhaupt nicht gefällt. Der Callboy hat im Film ja auch Frau und Kinder... Ab da war es für ihn einfacher, die Rolle zu spielen.
Mit Carmen Maura hast du dir ja eine hervorragende Schauspielerin geangelt...
Sie ist durch ihre Rollen bei Almodovar in Spanien sehr bekannt geworden. Ich wollte schon immer mal mit ihr zusammenarbeiten. Sie war dabei, als Homosexualität in den Filmen immer seriöser angepackt wurde: In ihrem Fall meine ich im Almodovar-Film "Das Gesetz der Begierde". Der erste Film, den ich gesehen habe, in welchem Homosexualität thematisiert wurde, war Klamauk: La Cage aux Folles... Carmen Maura ist sehr liebenswert und sie findet das Berühmtsein nicht so interessant. Viele Schauspieler und Schauspielerinnen behaupten das ebenso, aber man merkt, dass das leere Worte sind. Das ist bei Carmen nicht der Fall.
Hast du Pedro Almodovar mal persönlich getroffen.
Nur ein Mal und nur ganz kurz. Na ja, und Carmen Maura und er sind inzwischen nicht mehr so gut auf einander zu sprechen...
Mit Carmen stehen dir wahrscheinlich die Türen in Spanien offen...
Natürlich wird das helfen, in den spanisch sprechenden Ländern besser Fuss zu fassen...
Ich habe ein paar kritische Stimmen zu "La Vanité" gelesen. Man macht dir den Vorwurf, du würdest die Organisationen, die Sterbebegleitung anbieten, als nicht seriös darstellen...
Das war aber nicht meine Absicht. Die Zuschauer in der Romandie und in Frankreich haben meinen Humor jedenfalls verstanden. Kann gut sein, dass man in der Deutschschweiz mit dem Thema strenger umgeht. Das werden wir sehen.
Ausserdem kritisiert man, dass dein neuer Film weder ein Drama, noch eine Komödie ist...
(lacht) Ja, und da haben sie auch Recht. Es ist von beidem etwas...
Wie gehst du allgemein mit Kritik um, wenn es um deine Filme geht?
Ich freue mich über jede Kritik. Was ich nicht mag, ist, wenn etwas aus dem Kontext gerissen wird und man plötzlich über etwas anderes zu debattieren beginnt. Wenn ich etwas Schlechtes über einen Film lese, dann macht das mich noch mehr an, den Film schauen zu gehen. Ist er wirklich so schlecht? Ich muss dann lachen, wenn die Kritik überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Es ist auch besser, dass man über einen Film schlecht spricht, als wenn darüber gar nicht gesprochen wird.
Findest du es eigenartig, wenn ich behaupte, ich sehe da gewisse Parallelen zu Almodovar - und das liegt nicht an Carmen Maura...
Ich glaube, ich weiss was du meinst. Es gibt insofern die Parallele, wie wir eine total schräge Geschichte so trocken umsetzen können.
Wie bist du zu der Location gekommen?
Dieses Motel existiert gar nicht mehr. Aber es hat mir damals schon so gefallen, dass ich es im Studio nachbauen liess. Es ist also wenn du willst, alles Fake.
In einer Szene wandert der Film plötzlich in eine andere Zeit. Ist der Hauptdarsteller Miller da am träumen?
Er hat wohl so etwas, wie eine Nahtoderfahrung...
Ist er also nervös, dass bald alles zu Ende ist?
Ganz geheuer ist ihm die Sache dann doch nicht. Aber es geht in diesem Film gar nicht so primär um den (Frei-)Tod, sondern um die Kommunikation: Es prallen Menschen aus verschiedene Welten aufeinander und sie müssen sich arrangieren. Und das geht nun Mal nur, wenn sie miteinander sprechen.
Zum Film: La Vanité
Unter anderem für „Garçons Stupide“ verantwortlich, kommt der Westschweizer Filmemacher Lionel Baier nun mit seinem neusten Werk zu uns in die Kinos… Einer der Hauptrollen spielt Carmen Maura, die man aus Almodovar-Filme her kennt.
David Miller will mit dem Leben abschliessen - und nichts dem Zufall überlassen! Der kranke Architekt trifft sich in einem Motel mit Espe, Begleiterin einer Sterbehilfeorganisation. Doch Espe scheint das Protokoll nicht genau zu kennen. Miller braucht einen Zeugen, wie es das Schweizer Gesetz verlangt, und er versucht den russischen Prostituierten Treplev vom Zimmer nebenan zu gewinnen. Im Laufe der Nacht entdecken die drei, dass Zuneigung und vielleicht sogar Liebe eigenartig hartnäckige Gefühle sein können.
Genre:
Drama, LGBT
Filmlänge:
75min
Regie:
Lionel Baier
Drehbuch:
Lionel Baier, Julien Bouissoux
Cast:
Carmen Maura, Patrick Lapp, Ivan Georgiev, uam.