INTERVIEW: Maryam Keshavarz

INTERVIEW: Maryam Keshavarz
Auf Einladung des Zurich Film Festival war Maryam Keshavarz im jahr 2010 in Zürich zu Gast, um ihren Film "Circumstance" im OrangeCinema in Zürich persönlich vorzustellen. gay.ch hat die Filmemacherin getroffen und von ihr einen spannenden Blick hinter die Kulisse des Filmdrehs erhalten...

"Circumstance" taucht ein in die Subkultur des Irans, heftet sich an die Fersen von zwei jungen Frauen, welche zwischen Repression und autoritärem Regime im Alltag, und pulsierenden Partynächten und ersten Drogenerfahrungen hin und her pendeln. Im Fokus steht aber auch die Liebe - eine Liebe, welche es im Iran eigentlich nicht geben darf.

gay.ch: Perfektes Wetter heute… super für deine Vorführung im OrangeCinema direkt am Zürichsee…
Maryam Keshavarz: Ja, es ist wirklich perfekt! Ich komme gerade von einem Spaziergang am See zurück – und ich habe sogar einen Sonnenbrand gekriegt. Ich habe wirklich nicht solch schönes Wetter erwartet!

Bei „Circumstance“ bist Du ja die Regisseurin, die Drehbuchautorin und auch die Produzentin…
Welcome to Independent Films…

Es ist also auch ein sehr persönliches Projekt für Dich, da Du ja wirklich überall involviert bist, oder?
Ja, wirklich, der Film ist meine Dissertation für meinen Master an der New York University. Die Aufgabe dabei war, deine persönlichen Erfahrungen in dieses Projekt einfliessen zu lassen, ohne dabei jedoch autobiografisch zu werden. Für mich waren schon immer die beiden jungen Frauen die Basis für den ganzen Film, da sie mir auch persönlich von der Geschichte her auch nahe stehen. Ich wuchs zwischen den USA und dem Iran auf, geboren bin ich in New York, aber der Grossteil meiner Familie lebt noch immer im Iran. Meine Eltern gingen bereits in den 60ern Jahren in die USA, aber ich habe zwei Pässe. Über die beiden Frauen erzähle ich auch aus meinen Erfahrungen, als ich mit meinen Cousins in Teheran in den Untergrund eintauchte und ähnliches erlebte. Die liberale, ja sogar sehr liberale Familie im Film basiert zudem auf der Familie meines Onkels. Er hat in Massachusetts studiert, da damals nach der Revolution alle in den Westen gingen. Er war damals Student und ging dann aber zurück in den Iran um auch an den Protesten teilzunehmen, und dann musste er bleiben, da er nicht mehr zurück in die USA einreisen durfte. Er ist sehr liberal und offen eingestellt und daher ein gutes Beispiel dafür, wie man seine Kinder ebenfalls liberal erziehen kann in einer sehr konservativen Umgebung. Das war eigentlich die Basis für die gesamte Story.

Und seine beiden Kinder haben sich ja dann auseinandergelebt…
Ich denke, dieser Teil der Geschichte kommt daher, dass ich in einer sehr grossen Familie aufgewachsen bin. Ich habe noch sieben Brüder, und da passiert das andauernd, dass man sich mal näher ist, oder dass man sich mal etwas auseinanderlebt. Die Familie bietet einem solch eine Sicherheit, egal was ausserhalb gerade passiert. Man fühlt sich zuhause einfach total frei, kann über alles sprechen, Musik hören und vieles andere mehr. Da habe ich mir gedacht, was wäre das einzige, was diese Familie überhaupt zum Zerbrechen bringen könnte, und das ging nur, wenn jemand von innerhalb der Familie etwas macht, also, wenn der Bruder noch in die Geschichte der zwei jungen Frauen involviert wird, und sich an die Polizei wendet usw. Es war dann ganz schräg, denn eigentlich begann alles als rein fiktive Geschichte, doch später, als ich die Story fertig hatte, kamen so viele zu mir und fragten mich, ob es auf dieser oder jener Person aus meinem Umfeld basiere. Das zeigt also, dass es tatsächlich passiert. Für mich ist der Bruder aber kein böser Charakter im Film, weil er sich eben an die Polizei gewandt hat, für mich ist er vielmehr ein tragischer Charakter, jemand, der mit sich selber zu kämpfen hat und unsicher ist. Ich war schon immer an jenen Personen interessiert, welche mit ihrem Umfeld ringen.

Wo hast Du den Film überhaupt gedreht?
Gedreht habe ich in Libanon. Für mich war es klar, dass ich im Mittleren Osten drehen will, und zwar an einem Ort, der so nah an den Iran kommt, wie nur möglich. Ich reiste also umher, und fand dann den Libanon als am geeignetsten. Es war dann witzig, dass viele Leute auf mich zu kamen und sagten, dass ich diese oder jene Szene sicher im Iran gedreht hätte, etwa jene Bilder am Schluss, als sie über die Stadt schauen. Aber nein, es ist wirklich alles im Libanon gedreht worden. Dort war beispielsweise das Meer ganz in der Nähe, aber durch eine spezielle Linse, konnten wir es verbergen. Aber auch die Menschen im Libanon schauen uns Iranern sehr ähnlich, daher konnten wir dann auch alle Nebendarsteller gleich vor Ort casten. Wir fühlten uns also wie Iran, und wir hatten zudem die Freiheiten des Libanon, denn im Iran selber wäre es unmöglich gewesen, diesen Film zu drehen. Der Libanon ist viel liberaler, klar, hatten wir auch Probleme, den Film dort zu drehen, aber alles war so chaotisch, dass wir mit vielem durchgekommen sind. Es ist aber nie so wie im Iran, die wissen immer haargenau was gerade abgeht, die Regierung lässt alles sehr strikt kontrollieren. Aber im Libanon war es jeweils so, dass Du schon am nächsten Drehort warst, bis sie herausgefunden haben, was Du eben gerade gedreht hast.

Du musstest aber trotzdem ein Fake Skript für den Film verwenden und einreichen, um eine Drehgenehmigung zu erhalten…
Ja, also, wir benutzen schon das eigentliche Drehbuch, strichen einfach sämtliche Szenen, welche mit Sex oder Religion zu tun hatten raus. So wurden aus 100 Seiten nur noch etwa 45, also quasi ein Kurzfilm. Doch gegen Ende des Films haben sie dann trotzdem herausgefunden, um was sich der Film eigentlich dreht, und sie kamen immer häufiger zu uns aufs Set. Leider gerade auch, als wir die Sex-Szenen gedreht haben, und ich dachte schon, jetzt ist es passiert, warum sind die immer noch hier. Schlussendlich konnten wir den Film zwar zu Ende drehen, aber wir mussten ihn tatsächlich aus dem Land schmuggeln. Wir konnten den Film auch nicht im Libanon entwickeln lassen, denn dann hätten sie ja gewusst um was es tatsächlich geht. So musste der Produzent die noch nicht entwickelten Filmrollen mit dem Flugzeug via Jordanien, Dubai nach Los Angeles schmuggeln. Wir drehten während 23 Tagen im Libanon, sahen aber während dieser ganzen Zeit und bis 11 Tage nach dem Ende der Dreharbeiten bis wir in Los Angeles waren, kein einziges Bild unseres Films. Es war also extrem aufregend und nervenaufreibend, da wir die ganze Zeit nicht wussten, was wir überhaupt taten und ob wir mit dem Ergebnis zufrieden sein werden. Wir hoffen so, dass wirklich alles gut ging – ich habe so viele graue Haare gekriegt während dieser Zeit…

Wolltest Du mit diesem Film auch die Gelegenheit nutzen, uns einen anderen „Iran“ zu zeigen: Im Moment dominieren überall die Schlagzeilen vom Konflikt zwischen dem Iran, vor allem Ahmadinedschad, und den USA und dem Westen generell. Kaum jemand weiss jedoch von diesem pulsierenden Untegrund-Leben und der Subkultur…
Es gibt zwar schon Filmemacher, welche dieses Thema auch schon aufgegriffen haben, aber die meisten drehen im Iran selber, und dort haben sie dann nur sehr limitierte Möglichkeiten, um das wahre Leben zu zeigen. Bei mir war es aber so, dass ich zwischen den USA und dem Iran aufgewachsen bin, und gerade die Amerikaner denken immer, dass sich der Iran dermassen von den USA unterscheidet, auch dass die jungen Menschen so unterschiedlich sind. Aber gerade die Jungen, die wollen genau das gleiche, und gerade wenn man die jungen Iraner nimmt, dann sind die viel stilvoller gekleidet, sie wissen viel mehr über das World Cinema, viel mehr über Politik und Kunst als der Durchschnittsamerikaner. Aber es gibt eben diese Auffassung, dass alle Iraner per se einfach mal Fanatiker sind, und diese Erfahrungen habe ich im Iran schlicht nie gemacht. Aber natürlich war es mir mit meinem Film wichtig, etwas zu zeigen, vielleicht auch unbewusst, was ich den Leuten schon immer versucht habe zu erklären, was sie mir aber nie geglaubt haben. Mit dem Film hatte ich nun die Möglichkeit, das Leben dieser Menschen zu zeigen, und das gefiel mir sehr. Aber am meisten liegt mir am Herzen, dass die Story offenbar so interessiert, dass ich den Film überall auf der ganzen Welt zeigen konnte. Und da finde ich es so cool, dass Zuschauer aus ganz unterschiedlichen Ländern auf mich zukommen und sagen, dass die Geschichte genau so ablief wie auch in ihrer Familie, und dass sie Personen aus ihrem persönlichen Umfeld wieder erkennen. Das macht es sehr aufregend für mich, denn einerseits ist die Story des Films sehr spezifisch, aber gleichzeitig haben auch viele das Gefühl, dass es ihre ganz persönliche Geschichte ist, welche da im Film gezeigt wird. Da gab es beispielsweise dieses kolumbianische Lesbenpaar, welches viele Stunden Autofahrt auf sich nahm um „Circumstance“ an einem Screening in Los Angeles zu sehen, und die waren total überwältigt am Ende des Films und erzählten mir, dass es genau ihre Geschichte sei, also, dass sie auch den Bruder ihrer Freundin heiraten musste, und sie waren dann auch der festen Überzeugung, dass ich doch sicher von ihrer Geschichte gehört haben muss (lacht). Und an einer Vorführung in Paris kam ein Mann aus Tschechien zu mir und sagte das gleiche, oder auch eine Kubanerin. Das ist wirklich aufregend, dass so viele Menschen aus allen Kulturen sich mit dieser Geschichte identifizieren können.

Maryam, danke für dieses Gespräch...

Das ausführliche Interview ist in der Print-Ausgabe des gay.ch Magazins, Ausgabe Oktober/November 2010, erschienen.