INTERVIEW: Todd Haynes

INTERVIEW: Todd Haynes
Sie hat so ziemlich alles erreicht, was es als Autorin zu erreichen gibt - mal abgesehen vom Literatur-Nobelpreis, den sie 1991 knapp verpasste: Und nun kommt die Verfilmung ihres wohl spannendsten Werks in unsere Kinos. Filmemacher Todd Haynes hat sich dem Roman "Carol / Salz und sein Preis" von Patricia Highsmith angenommen und ihn mit Cate Blanchett und Rooney Mara verfilmt. gay.ch hat den Regisseur in Zürich getroffen und sich mit ihm über den Film unterhalten.

Mit "Tom Ripley" schuf sie eine wahre Berühmtheit: Ganze fünf Bücher widmete Patricia Highsmith dieser Hauptfigur, und im Film "The Talented Mr. Ripley", eroberte er schliesslich mit Matt Damon in der Hauptrolle auch die Kinoleinwand. Ihr Buch "Stranger on a Train" wurde gar geadelt, indem es durch Sir Alfred Hitchcock verfilmt wurde.

Ein weit weniger bekanntes Werk ist hingegen "Carol oder Salz und sein Preis". 1952 in McCarthys Amerika geschrieben, handelt das Buch von einer lesbischen Liebe. Ein heikles Thema damals, und so veröffentlichte Highsmith diesen Roman auch unter ihrem Pseudonym "Claire Morgan". Es sollte das einzige Werk der US-Amerikanerin werden, welches tatsächlich von erfüllter Liebe handelt. Einer Liebe, welche als Glück empfunden wird und nicht als böser Wahn. Unter dem Eindruck einer persönlichen Begegnung geschrieben, war Highsmith danach nie wieder so sinnlich, so poetisch und so erotisch, wie eben bei "Carol".

In den USA geboren, verbrachte Patricia Highsmith aber einen Grossteil ihres Lebens in Europa, und vor allem die letzten Jahre in der Schweiz im Tessin. In Locarno war es auch, wo sie am 4. Februar 1995 verstorben ist, und in Tegna, ihrem letzten Wohnort im Tessin, liegt sie heute begraben.

Todd Haynes bringt nun "Salz und sein Preis" unter dem Filmtitel "Carol" zu uns in die Kinos: Mit an Bord holte er dazu Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett und Rooney Mara. Er hat ein äusserst berührendes Werk geschaffen, und die fünf Golden Globe-Nominationen dafür hat er sich mehr als verdient. Am Zurich Film Festival im vergangenen Herbst stellte er "Carol" als Gala Premiere vor. gay.ch hat den Filmemacher dort getroffen und sich mit ihm über den Film und über Patricia Highsmith unterhalten.

gay.ch: Der Film basiert auf Patricia Highsmiths Roman “Carol oder Salz und sein Preis“. Stimmt es, dass ein Teil der Geschichte autobiografisch ist?
Todd Haynes: Patricia Highsmith schrieb zwar 1950 ihren ersten Roman „Strangers on a Train“, der ein Jahr später durch Alfred Hitchcock verfilmt wurde, aber sie war Ende zwanzig und musste sich noch mit anderen Jobs über Wasser halten. Sie nahm an Weihnachten einen Job an, wo sie Puppen verkaufen musste. Eines Tages kam dann diese Frau herein und bat sie um Hilfe beim Kauf einer Puppe. Diese Frau - hübsch, blond, elegant, wohlhabend… Patricia Highsmith war sofort in diese Frau verknallt. Kurz nach dieser Begegnung wurde Highsmith krank: Sie hatte Windpocken und hohes Fieber. In diesem Fieberzustand hat sie sich dann diese Geschichte ausgemalt und sie niedergeschrieben. Tatsache ist aber, dass sie tatsächlich mit einer anderen, älteren Frau - die ähnlich wie Carol war - eine Beziehung gehabt hat. Und Highsmith hat auch die Quittung von der Puppe, welche die schöne Frau gekauft hat, behalten. Inzwischen war sie berühmt geworden, doch das hielt sie nicht davon ab, in den Zug zu steigen um nach New Jersey zu fahren, wo sie anschliessend mit dem Taxi bis vor das Haus fuhr, wo die Frau gewohnt hat – in der Hoffnung, dass sie sie vielleicht sehen würde. Der Fall ist aber nicht eingetreten.

Wo hast du all diese schönen Locations und Kleider gefunden?
Ich habe mir die Besten zur Unterstützung ausgesucht, mit welchen ich bisher zusammengearbeitet habe: Zum Beispiel Judy Becker, eine Production Designerin, mit der ich schon einmal zusammengespannt habe, oder Sandy Powell, Costume Designerin, mit der ich auch schon zwei Mal gearbeitet habe… Wir kannten uns also bereits gut. Wir haben immer eingehend über die Details gesprochen, denn wir hatten auch die Herausforderung, dass uns nicht so viel Geld zur Verfügung gestanden ist, wobei ich sagen muss, dass ich im Normalfall fast immer wenig Geld für einen Film habe. Wir haben den Film in Cincinnati gedreht, aber keiner kannte die Stadt gut, doch gerade das machte es aufregend dort zu filmen. Wir konnten so unser eigenes New York aus dem Jahre 1952 erschaffen, und dies in einer Stadt, die sehr selten als Drehort gewählt wird, was ich eigentlich nicht nachvollziehen kann, denn Cincinnati ist architektonisch äusserst interessant. Wir haben Strassen gefunden, an welchen noch Schilder von Anfang der Fünfziger hingen. Es war ein Treffer auch im historischen Sinn. Es ist eine Stadt, wie New York in etwa damals ausgesehen hat.

Lesbische Frauen haben in den Fünfzigern ein geheimes Leben geführt. Wie hast du recherchiert, um wiedergeben zu können, wie sie damals mit einander kommuniziert haben?
Ich habe mich am Leben von Highsmith orientiert und vor allem an der Arbeit von Phyllis Nagy, die Screenwriterin und Freundin von Highsmith. Sie hat sich viel länger mit der Adaption dieses Romans auseinandergesetzt als ich. Und sie ist lesbisch und kannte Highsmith in der letzten Dekade ihres Lebens. Ich bin der Meinung, dass wir sehr nah an der Geschichte sind, sowie an der Art und den Möglichkeiten, die sie zum Kommunizieren hatten. Was für mich besonders interessant ist, ist, dass lesbische Frauen gewisse Freiräume für sich beanspruchen konnten, die für ein Mann und eine Frau, die nicht verheiratet waren, nicht möglich gewesen sind. Es war okay, wenn eine ältere Dame eine junge Frau zum Tee einlud. Oder wenn sie zusammen gewohnt haben. Zwischen einem unverheirateten Mann und einer Frau wäre Letzteres zu dieser Zeit ein Skandal gewesen. Es gab also diese Schlupflöcher, die man nicht erwartet hätte, und die ihnen eine gewisse, widersprüchliche Freiheit erlaubten. Man stellt also fest, dass sich dies nicht mit den Vorstellungen dieser Zeit deckt. Wie in vielen anderen Filmen geht es hier um das „Lesen", um das Zwischen-den-Zeilen-lesen, um Signale lesen zu können, um zu wissen, wo man steht. Das ist bei Therese und Carol nicht anders.

Zum Film: Carol

In einer gescheiterten Ehe gefangen, trifft Carol Aird in einem Kaufhaus in Manhattan auf Therese Belivet. Schon vom ersten Blick an funkt es zwischen den Beiden, und die Unschuld ihres ersten Treffens verwandelt sich schnell in eine tiefe Verbundenheit. Als die Affäre mit Therese auffliegt, setzt ihr Ehemann sie unter Druck und stellt ihre Qualitäten als Mutter in Frage. Die beiden Frauen fliehen aus ihren Leben und brechen gemeinsam zu einer Reise ins Ungewisse auf. Schon bald müssen sie jedoch feststellen, dass eine Konfrontation mit sich selbst und ihrer Hingabe zueinander unausweichlich wird.

Genre:
Drama, Romance, LGBT

Filmlänge:
119min

Regie:
Todd Haynes

Drehbuch:
Phyllis Nagy nach dem Werk von Patricia Highsmith

Cast:
Cate Blanchett, Rooney Mara, Sarah Paulson, Kyle Chandler, John Magaro, Jake Lacy, Carrie Brownstein, Cory Michael Smith, Jim Dougherty, Kevin Crowley, Ken Strunk, Ann Reskin

Kinostart:
10. Dezember 2015