GESUNDHEIT: «Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Normalisierung»
Die Realität des Lebens mit HIV hat sich dank medizinischer Fortschritte stark verändert. Dennoch wirken sich die aus den 1980er- und 1990er-Jahren übernommenen Darstellungen auch heute noch negativ auf die Prävention, das Testen und die Lebensqualität von Menschen, die mit HIV leben, aus. Im Interview erklärt David, was sich ändern muss.
David, es gibt ein ganz spezielles Projekt, das dich sehr beschäftigt hat. Bitte erzähl uns davon.
Ja, Positive Life Festival (PLF) – es ist etwas ganz Besonderes! Zum einen ist PLF ein Kulturfestival, das am 1. und 2. Dezember zum ersten Mal stattgefunden hat. Zum anderen gehören Aktivitäten, Veranstaltungen und Interventionen dazu, die im ganzen letzten Jahr im Vorfeld organisiert wurden – in Schulen, Museen, in Vereinen, Kinos und in Pflegefachschulen. Viele verschiedene Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen und Disziplinen machten mit. Mit grosser Freude stelle ich fest – trotz allem, was mensch so hört: das Thema HIV interessiert immer noch!
Das ist ein schöner Erfolg. Was sind die Gründe für das tolle Echo?
Die Grundlage des Erfolgs ist zuallererst unser spezieller Kampagnenansatz: Wir beziehen Menschen aktiv ein und beteiligen sie. Wir sprechen in ganz unterschiedlichen Kontexten über HIV, gehen zu den Menschen, in die Schulen, in die Institutionen. Wir nutzen die Kulturszene sehr stark, um unsere Botschaften zu verbreiten. Das Aufhängen von Plakaten: Das ist vorbei.
Zweitens haben wir starke, aktive und vielfältige Partnerschaften aufgebaut, was äusserst wichtig war. Es freut mich sehr, dass der Kanton, Universitäten, Fachhochschulen, Spitäler, Industrie und viele mehr mitgemacht haben. Ohne diese Partnerorganisationen wäre es nicht möglich gewesen, ein ganzes Jahr lang so erfolgreiche Events auf die Beine zu stellen!
Welche sind die Ziele, die du mit Positive Life Festival verfolgst?
In der öffentlichen Wahrnehmung sind die alten Bilder von HIV und Aids noch immer stark verhaftet. Für unsere Botschaften, wie etwa «undetectable = untransmittable», ist das hinderlich. Das wichtigste Ziel ist deshalb, dass wir neue Bilder schaffen und diese in der Gesellschaft verankern. Diese orientieren sich an der Realität: Heute – mit Zugang zu Therapiemöglichkeiten – kann HIV behandelt werden und Menschen, die mit HIV leben, können ein erfülltes, vielfältiges und langes Leben führen.
Wie gehst du dabei vor?
Neben den neuen Dialogformen, die ich bereits erwähnte, haben wir acht Kurzfilme mitproduziert, von denen viele mit und/oder von Menschen, die mit HIV leben, gemacht wurden. Es sind intime, politische und engagierte Filme, die der Frage, was es heute heisst «mit HIV zu leben», eine neue Bedeutung verleihen. Einige Filme schaffen «Vorbilder», damit andere Menschen – wenn sie es wollen – sehen können, dass es möglich ist, gut und offen mit HIV zu leben.
Wenn du an die Zeit zurückdenkst, als bei dir zum ersten Mal eine HIV-Diagnose gestellt wurde, und dann überlegst, wie es heute aussieht: Wie fühlst du dich dann? Was hat sich verändert?
Heute ist das Virus behandelbar. Wie viele der Menschen, die mit HIV leben, nehme ich heute eine Tablette am Tag. Bei erfolgreicher Behandlung kann das Virus nicht mehr übertragen werden. Es kann also ein erfülltes und langes Leben geführt werden. Als ich Ende der 1980er-Jahre die Diagnose HIV bekam, war mein gesamtes Leben buchstäblich auf die Behandlung ausgerichtet. Bis zu 40 Tabletten am Tag, einige mit dem Essen, einige ohne Essen, einige genau zwei Stunden vor dem Essen. Selbst das Verlassen des Hauses war kompliziert. Der Behandlungsfortschritt – ich kann das nicht stark genug betonen – ist enorm! Auf der Ebene der sozialen Akzeptanz und des Verständnisses von Botschaften wie «U=U» haben wir jedoch noch einen weiten Weg vor uns.
Sag uns zum Schluss dieses Gesprächs: Was sind deine grössten Wünsche?
Erstens: Nach der Normalisierung von HIV in der Medizin wünsche ich mir die gesellschaftliche Normalisierung. Menschen sind natürlich nicht verpflichtet, darüber zu sprechen, dass sie mit HIV leben, aber sie müssen das Gefühl haben, darüber sprechen zu können, wenn sie wollen, ohne ihre Arbeit, ihre familiären Bindungen oder ihre Partner*innen zu gefährden.
Zweitens: Ich möchte, dass Menschen, die mit HIV leben in allen Bereichen, die mit HIV zu tun haben, eine Entscheidungsrolle übernehmen können, sei es in der Forschung, bei Dienstleistungen oder in der gemeinnützigen Welt. Wenn wir das erreicht haben, sind wir ein grosses Stück weiter!
Finde @postivelifefestival auf Facebook und Instagram.
Über David:
Dr. David Jackson Perry ist Soziologe, Spezialist für sexuelle Gesundheit und HIV-Projektleiter bei «L’Antenne», der ambulatorischen Beratungsstelle des Dienstes für Infektionskrankheiten am Universitätsspital Lausanne. Ausserdem ist er als HIV-Community-Vertreter im wissenschaftlichen Beirat der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie. In seiner Funktion als HIV-Projektleiter am Universitätsspital Lausanne setzt sich David für die Verbesserung der Pflegequalität, die Verbesserung des Lebens von Menschen, die mit HIV leben, und für die Bekämpfung von HIV-bedingter Stigmatisierung und Diskriminierung ein.
Über Gilead Sciences:
Gilead Sciences ist ein forschungsbasiertes biopharmazeutisches Unternehmen, das innovative Arzneimittel für medizinische Bereiche erforscht, entwickelt und vermarktet, in denen ein hoher Bedarf nach medizinischem Fortschritt besteht. Das Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Versorgung lebensbedrohlich erkrankter Patient*innen weltweit voranzubringen und zu vereinfachen. Gilead hat seinen Hauptsitz in Foster City, Kalifornien, und besitzt Niederlassungen in mehr als 35 Ländern weltweit. Das Unternehmen fokussiert sich dabei auf die Bereiche HIV, Virushepatitis, Krebserkrankungen und COVID-19 – www.gileadswitzerland.ch
CH-UNB-0598 | 11/2023
Hauptbild: © Thomas Défago