SCHWEIZ: Selbstbestimmungs-Initiative
Was will die SVP mit ihrer Selbstbestimmungsinitiative?
Die SVP will einen absoluten Vorrang der schweiz. Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht, d.h. von der Schweiz international eingegangene Verpflichtungen, in unsere Verfassung schreiben. Heute gilt überwiegend die Praxis, dass die von der Schweiz abgeschlossenen Verträge mit anderen Staaten oder mit Staatengemeinschaften dem Schweizer Recht übergeordnet sind. Die Initianten verlangen, dass ein völkerrechtlicher Vertrag (z.B. die Europäische Menschenrechtskonvention, kurz: EMRK) nicht angewendet wird und sogar gekündigt werden muss, wenn z.B. eine vom Volk angenommene Volksinitiative nicht mit ihm übereinstimmt.
Was sind die Hauptargumente der SVP für die Selbstbestimmungsinitiative?
Die SVP behauptet, damit die schweiz. Demokratie und die Unabhängigkeit unseres Landes vom Ausland stärken zu können.
Und wie argumentieren die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative?
Die Gegner sind der Überzeugung, dass die Schweiz damit für andere Länder zu einem unsicheren, weil unzuverlässigen Vertragspartner wird und so ihre Position ihnen gegenüber dauerhaft schwächt. Wir könnten dann unsere Interessen wesentlich weniger gut durchsetzen und verteidigen als heute. Zudem würde bei einer Annahme der Initiative der gerade für uns Schweizer/innen seit eh und ja zentrale Schutz unserer Freiheits- und Grundrechte geschwächt.
Welche anderen Parteien unterstützen diese Initiative?
Keine.
Selbstbestimmung klingt in erster Linie positiv und gut. Täuscht das?
Natürlich klingt das gut. Wer möchte schon nicht über alles, was ihn oder sie persönlich betrifft, selbst bestimmen können? In diesem Fall trügt aber der schöne Titel. Die Schweiz kann ja über alle internationalen Verträge, die sie eingeht, schon jetzt frei bestimmen. Die Initiative bringt also keinen Gewinn an Selbstbestimmung. Hingegen würden wir damit wesentliche Verluste einfahren. Denn das Völkerrecht regelt das Verhalten der Staaten untereinander, es vereinfacht die internationale Zusammenarbeit, macht sie berechenbar und schafft so die Grundlagen für Frieden und Stabilität. Daran hat gerade die Schweiz ein eminentes Interesse: Versagt das Völkerrecht, werden Kleinstaaten wie die Schweiz zum Spielball der Grossmächte.
Inwiefern ist die LGBTI-Community davon betroffen?
Eine von der Schweiz eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung ist die oben erwähnte Europ. Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese hat gerade für den Schutz der Freiheits- und Grundrechte von Minderheiten wie uns Schwulen eine grosse Bedeutung. Beschliesst das Parlament oder die Mehrheit der Stimmbevölkerung ein schwulenfeindliches Gesetz oder eine diskriminierende Verfassungsbestimmung, so kann jeder Betroffene heute beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen einen solchen Beschluss Klage erheben, und er wird mit grosser Wahrscheinlichkeit Recht bekommen. Nach Annahme der Initiative ist das nicht mehr möglich: eine Mehrheit des Volkes oder des Parlamentes könnte per Gesetz oder Verfassungsbestimmung die in der EMRK verankerten Menschenrechte verletzen, ohne dass wir uns dagegen wehren könnten. Diese absolute Macht der Mehrheit untergräbt Demokratie und Rechtsstaat und gefährdet die Rechte von uns Minderheiten.
Kann man schon einschätzen, wie hoch die Chancen stehen, dass diese Initiative angenommen wird?
Das ist jetzt, rund zwei Monate vor der Abstimmung, noch schwer zu sagen. Zwar wehren sich alle übrigen Parteien, die Wirtschaft und eine grosse Zahl von Organisationen aus der Zivilgesellschaft wie z.B. Amnesty International, Operation Libero oder eben die LGBTI-Verbände gegen die Initiative. Bei denjenigen, die sich nicht genauer mit der Materie befassen, könnte aber das Schlagwort von den „fremden Richtern“, die bei uns etwas zu sagen hätten, schon verfangen.
Weshalb ist es so wichtig, an die Urne zu gehen?
Es ist immer wichtig, an die Urne zu gehen, um so die Gesellschaft, in der man lebt, aktiv mitzugestalten. In diesem Fall ist es besonders wichtig, weil gesellschaftliche Minderheiten wie wir Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transpersonen bei einer Annahme der Initiative wesentliche Rechte verlieren würden. Entscheidend ist zudem, dass wir auch unser Umfeld, unsere Freund/innen, Verwandten, Kolleg/innen davon überzeugen, an die Urne zu gehen und ein klares Nein einzulegen!
Hans-Peter Fricker
Leiter der Politischen Kommission von Network
Link: www.sbi-nein.ch