SCHWEIZ: Die Polemik auf Kosten von trans Jugendlichen erreicht die Schweiz

SCHWEIZ: Die Polemik auf Kosten von trans Jugendlichen erreicht die Schweiz
Was etwa in den USA längst begonnen hat, erreicht nun auch die Schweiz: Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich unter Leitung von Regierungsrätin Natalie Rickli (SVP) prescht vor und fordert ein nationales Verbot für geschlechtsangleichende Operationen bei Minderjährigen. Damit setzt der Kanton auf Polemik, und erntet auch Kritik von Fachleuten! Weshalb diese Kritik mehr als berechtigt ist, zeigt schon die Pressekonferenz des Kantons...

Was etwa in den USA die Gerichte bereits auf sämtlichen Ebenen beschäftigt, erreicht nun auch die Schweiz. Verantwortlich dafür ist die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich unter Leitung der SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli. An einer eigens dazu einberufenen Pressekonferenz forderte die Gesundheitsdirektion am Montag ein Verbot von geschlechtsanpassenden Operationen bei Minderjährigen und setzt damit auf Polemik auf dem Rücken von trans Jugendlichen.

Man wolle Jugendliche vor ungerechtfertigten operativen Eingriffen während ihrer Entwicklung schützen, begründet Rickli ihr Vorpreschen. Diese könnten solche Eingriffe später bereuen. Diese Forderung überrascht auch daher, weil eine eigens von ihrer Direktion in Auftrag gegebene Studie keine Hinweise auf eine problematische Praxis ergab. Gerade operative Eingriffe sind heute schon sehr streng geregelt, werden sehr eng begleitet und benötigen Gutachten. 

Auch die derzeitige Faktenlage aus dem Kanton Zürich zeigt ein deutliches Bild und rechtfertigt das Vorgehen des Kantons nicht. Im vergangenen Jahr haben 131 Personen im Kanton Zürich den Weg einer geschlechtsangleichenden Operation gewählt. Davon stammten 53 Personen aus dem Kanton selber, und 78 kamen aus einem anderen Kanton nach Zürich. Darunter waren nur vier Jugendliche, eine Person aus dem Kanton und drei von ausserhalb des Kantons Zürich, (Video Pressekonferenz) und dies bei einer Einwohnerzahl im Kanton Zürich von über 1.6 Millionen Menschen. Hinzukommt, dass die jüngste Person, welche im Kanton je einen operativen Eingriff erhielt 16 Jahre alt war, was bedeutet, dass alle Jugendlichen, welche sich selber nach intensiver Beratung mit den Eltern und Fachleuten für diesen Weg entschieden, zwischen 16 und 18 Jahre alt waren, die meisten dabei kurz vor dem 18. Geburtstag.

Weiter spricht Susanne Walitza, Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Zürich während der Medienkonferenz davon, dass man etwa von einem Prozent in der Gesamtbevölkerung ausgeht, welche von Genderdysphorie betroffen sind. Dabei suchen nur 0.024 Prozent der jugendlichen Bevölkerung überhaupt eine Sprechstunde zur Geschlechtsinkongruenz auf. Dabei betont auch Walitza selber, dass dies nur eine sehr niedrige Zahl sei, welche sich im jugendlichen Alter überhaupt mit diesem Thema auseinandersetzt und weiterführende Beratung sucht (Video Pressekonferenz).

Natalie Rickli erklärt auch, dass eine Gruppe von Eltern mit Vorwürfen an die Gesundheitsdirektion herangetreten ist. Diese Vorwürfe habe man aber grösstenteils entkräften können. Danach fügt sie weiter an, dass aber auch eine Gruppe von Eltern auf sie zugekommen sei, welche betonten, wie wichtig solche geschlechtsangleichenden Massnahmen bei Jugendlichen seien (Video Pressekonferenz). 

Auch Fachleute kritisierten die Zürcher Kantonsregierung und Natalie Rickli massiv, bereits kurz nachdem sie ihre Forderung öffentlich machten. So sei dieser Vorstoss fachlich absolut unbegründet und er würde auf keinen Fakten beruhen. Es komme schlicht nicht vor, dass es zu übereilten OPs komme, erklärt David Garcia Nuñez gegenüber 20min. Garcia Nuñez ist Psychiater und Leiter des Innovations-Focus Geschlechtervarianz am Universitätsspital Basel. Es gebe zudem ganz klare Richtlinien, und Operationen bei unter 18-Jährigen würden ohnehin nur in absoluten Ausnahmefällen geschehen. Aus diesem Grund ist für Garcia Nuñez klar, dass es kein solches Verbot brauche.

Gar als brandgefährlich bezeichnet das Transgender Network Switzerland, kurz TGNS, diese Forderung. Es sei verblüffend, dass der Kanton Zürich ein landesweites Verbot nennt, gerade in Anbetracht der tiefen Fallzahlen und weil im aktuellen System keine Mängel festgestellt wurden. Es sei zudem beunruhigend, dass ein sicheres Gesundheitsangebot, das medizinisch, ethisch und rechtlich für gut befunden wurde, schweizweit nun verboten werden soll. In einer Stellungnahme schreibt TGNS dazu auch, dass die Gesundheitsversorgung kein Mittel zur politischen Profilierung sein dürfe.

Auch die Experten warnen vor drastischen Folgen, gerade auch für Jugendliche. In der Schweiz werden sie eng betreut und begleitet, würde ein Verbot eingeführt, könnte es dazu führen, dass sie sich Medikamente etwa über das Internet oder im Ausland besorgen, und dies ohne Kontrolle. Weiter könnten sie auch ins Ausland reisen und dort gar Behandlungen vornehmen, und dies ohne genügend ärztliche Beratung und Aufsicht. Oftmals könnten Jugendliche bereits jetzt die langen Wartezeiten kaum abwarten, und dieses Leid würde mit dem Verbot weiter verschärft, so David Garcia Nuñez. Schweigen und Verdängen seien gefährlicher, als wenn man Jugendliche begleitet, wenn sie sich schon früher mit der eigenen Identität auseinandersetzen wollen.

Dass es ihr keinesfalls um ein vollständiges Verbot von geschlechtsangleichenden Operationen geht, betont Natalie Rickli. Genau dies befürchten aber LGBTI+ Organisationen wie TGNS: Am Anfang sollen Jugendliche "geschützt" werden, dann folgt, wie bereits in gewissen Ländern Tatsache, ein Verbot für Erwachsene, dann kommt etwa ein Verbot von hormoneller Verhütung oder von Abtreibungen.

Bild: Quelle: Anja Kutter © Staatskanzlei ZH 

Pressekonferenz "Versorgung von Transgender-Jugendlichen: Schutz vor irreversiblen Eingriffen bei Minderjährigen":