HISTORY: Eine Affäre, welche ganz Florenz erschüttert hat

HISTORY: Eine Affäre, welche ganz Florenz erschüttert hat
Vor 560 Jahren kam Jacopo Saltarelli in Florenz zur Welt – und sein Name taucht noch heute gerne in historischen Romanen und Filmen auf, auch wenn eigentlich ziemlich wenig über sein Leben bekannt ist. Doch Jacopo war damals in spektakuläre Prozesse involviert, darunter einer wegen sexuellen Handlungen mit niemand geringerem als Leonardo Da Vinci...

Es war ein Prozess, der weit über die Grenzen der Stadt Florenz für Aufsehen sorgte. In dessen Mittelpunkt stand der damals 17-jährige Jacopo d’Andrea Saltarelli. Er war zusammen mit Leonardo da Vinci und drei weiteren Männern angeklagt, sich mit homosexuellen Handlungen vergnügt zu haben. Woher die Anschuldigungen kamen, ist nicht bekannt, denn damals war die Denunziation ein gängiges Mittel in Florenz. Die Oberen der Stadt liessen dazu in der Nähe des Palazzo Vecchio einen sogenannten Tamburo aufstellen, in welchen Briefe mit – zumindest zum Teil - anonymen Beschuldigungen eingeworfen werden konnten. Ein ebensolcher Brief wurde auch im Jahr 1476 eingeworfen, und diese Beschuldigungen reichten aus um neben Leonardo da Vinci auch noch Bartolomeo di Pasquino, welcher wie Jacopo als Goldschmied arbeitete, sowie Baccino, ein Schneider, und Lionardo de Tornabuoni, zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken. Sie alle sollen sexuelle Handlungen am jugendlichen Jacopo vorgenommen haben.

Neben da Vinci, barg gerade auch der Name Lionardo de Tornabuoni ziemlich viel an Brisanz, stammt er doch der berühmten Aristokratenfamilie Tornabuoni ab. So war er der Neffe von Lucrezia Tornabuoni, einer bekannten Dichterin und Ehefrau des Bankiers und florentinischen Politikers Piero di Cosimo de’ Medici, welcher von 1464 bis 1469 Parteityrann von Florenz war. Jacopo Saltarelli selber war den Behörden bereits ein Begriff, denn nur kurze Zeit vor den neusten Anschuldigungen, im selben Jahr, wurde er bereits der gleichgeschlechtlichen Handlungen verdächtigt.

Beweise für die Handlungen mit Da Vinci und den anderen Männern existierten ebenso wenig wie es Zeugenaussagen gab, doch das öffentliche Interesse war gross. Gleich zweimal wurde die Angelegenheiten innerhalb von zwei Monaten vor den Behörden verhandelt, das erste Mal am 9. April 1476, doch durch die Fürsprache der Familien der Angeklagten, sowie auch durch die Unterstützung durch Leonardo da Vincis Freund und Lehrer, Andrea del Verrocchio, wurde die Klage gegen die Männer schliesslich fallen gelassen und sie wurden nach zwei Monaten wieder aus dem Gefängnis entlassen.

Schlussendlich soll es ein reiner Formfehler gewesen sein, welcher dazu geführt haben soll, dass die Anklagen fallen gelassen wurden: Die Anschuldigungen waren nämlich nicht unterzeichnet. Damals konnten Anschuldigungen wegen homosexuellen Handlungen zwar im Geheimen erhoben werden, aber eben nicht anonym. Anderen Quellen zufolge soll der einflussreiche Lorenzo de’ Medici, welcher mit dem Angeklagten Leonardo Tornabuoni verwandt war, seine Finger im Spiel gehabt haben, um die Klage in Luft auflösen zu lassen. Nur kurze Zeit später, am 7. Juni, wurden die selben Anschuldigungen erneut gegen die fünf Männer erhoben, doch auch diesmal wurde die Klage wieder fallen gelassen.

Die fünf Männer hatten grosses Glück, denn theoretisch gesehen war Homosexualität damals ein sehr ernsthaftes Verbrechen, welches kurze Zeit später gar mit dem Tod bestraft werden konnte. Doch trotzdem waren solch drastischen Strafen relativ selten, da die Beweisführung enorm schwierig war. Es gab Historikern zufolge pro Jahr rund 130 Anklagen diesbezüglich, rund ein Fünftel davon wurde für schuldig befunden. Es gab nur sehr wenige Exekutionen, vielmehr wurden die „Täter“ ins Exil geschickt, öffentlich gedemütigt, mit einem Branding bestraft oder mit einer Geldstrafe belegt. Doch trotzdem: Die gleichgeschlechtliche Liebe war damals weit verbreitet und bis zu einem gewissen Grad sogar toleriert.

Wer die Männer um da Vinci angeschwärzt hat, ist nicht bekannt, doch der Denunziant dürfte aus dem Viertel, indem die Angeklagten lebten, stammen. In seinem Brief, der heute noch vorhanden ist, gibt er nämlich zahlreiche Details bekannt, wie die Männer gekleidet sind, wo sie arbeiten und mit wem sie wo wohnen. Da die Anschuldigungen anonym eingegangen sind, wäre es laut Historikern durchaus auch denkbar, dass es beispielsweise ein anderer Goldschmied, ein Konkurrent, gewesen sein könnte. Dabei lag der Fokus auf Paolo di Giovanni Sogliani, welcher neben seinem Beruf als Goldschmied auch noch Maler war, und also auch Leonardo da Vinci als Konkurrent angesehen haben könnte.

Leonardo da Vinci dürfte Jacopo wohl über seine Kunst kennengelernt haben, denn der Jugendliche ist wohl in jenem Viertel aufgewachsen, indem da Vinci selber lebte und arbeitete. Jacopo wohnte damals noch mit seinem Bruder Giovanni zusammen und arbeitete nicht nur als Goldschmied in der Via Vacchereccia, sondern er verdiente sich auch als Malermodell noch etwas dazu. Zudem soll er auch der Prostitution nachgegangen sein. Doch trotzdem: Jacopo entstammt eigentlich einer noblen Familie, der Saltarellis, welche im Mittelalter in Florenz durchaus eine gewisse Bekanntheit hatten. So etwa durch Simone Saltarelli, einem berühmten Geistlichen des dominikanischen Ordens. Noch heute ist in Florenz zudem der Turm der Saltarellis, der damalige Wohnsitz der Familie, zu sehen.

Ob Leonardo Da Vinci aber tatsächlich homosexuell war, lässt sich nur schwer beweisen. Obwohl er Hunderte von Seiten an Briefen und Texten zurückliess, finden sich kaum Details zu seinem Privatleben oder zu seiner Sexualität. Einige Historiker sehen ihn klar als homosexuellen Mann, andere vermuten zwar homosexuelle Tendenzen, aber genauso gut sei es möglich, dass er enthaltsam gelebt habe – zumindest nach dem aufsehenerregenden Prozess im Jahr 1476. Dieser Ansicht war auch der bekannte Psychoanalytiker Sigmund Freund, welcher viele Schriften von Da Vinci las und zum Schluss kam, dass dieser zwar latent homosexuell gewesen sei, seinen Neigungen aber nicht nachging.

Gerade in Verbindung mit Leonardo da Vinci, dessen Todestag sich 2019 zum 500. Mal jährte, ist Jacopo Saltarelli zu einer beliebten, historischen Romanfigur geworden. Sei es bei Dan Brown, bei Charles Nicholl oder Maike Vogt-Lüerssen, sie alle haben das Leben des jungen Mannes in ihre Bücher einfliessen lassen. Doch auch in der britisch-amerikanischen Historienserie Da Vinci’s Demons hat Jacopo eine wichtige Rolle inne – gespielt wird er dabei von Christopher Elson. Besonders weil so wenig Fakten vorliegen, und weil vieles im Ungewissen ist, eignet sich sein Leben und die Vorkommnisse von damals bestens,  um daraus immer neue Geschichten zu spinnen und damit etwas mehr zum Mythos des Jacopo Saltarelli beizutragen...