PORTRAIT: Durch sein Coming Out verlor er seinen Plattenvertrag, doch nun meldet sich Wils zurück...

PORTRAIT: Durch sein Coming Out verlor er seinen Plattenvertrag, doch nun meldet sich Wils zurück...
Er hatte hunderttausende Follower in den Sozialen Medien, marschierte über rote Teppiche und füllte grosse Konzertarenen, doch als er sich öffentlich outen wollte, wurde Wiltay von seinem Plattenlabel in seiner Heimat Singapur kurzerhand vor die Tür gesetzt - aller Erfolge zum Trotz. Nun kämpft er sich, von Los Angeles aus, zurück und hat als Wils erste Singles und Videoclips veröffentlicht. Mit gay.ch hat er offen über sein Coming out, seine Familie, aber natürlich auch über seinen Neuanfang in Los Angeles und seine neue Musik gesprochen…

Es war ein harter Schlag: Man baut sich eine Karriere auf, steckt all sein Herzblut und seine Emotionen in seine Kunst und wird dann wie eine heisse Kartoffel vom Plattenlabel fallen gelassen, und dies einzig aus dem Grund, weil man sich entschieden hat, auch öffentlich sich selber sein zu wollen. Passiert ist dies Wiltay aus Singapur. Er war ein echter Shootingstar, stand vor 40’000 Zuschauern auf der Bühne und auch seine Social Media-Kanäle wurden von mehr als 400’000 Personen abonniert. Doch mit seinem Coming out wurde alles anders: Er verlor gesteuert durch sein Label seine Social Media-Konten, seinen Plattenvertrag und damit seine Fans. Mittlerweile hat Wiltay, oder Wils, wie er sich heute nennt, seine Heimat, und damit auch seine Familie in Singapur hinter sich gelassen und baut in Los Angeles seine neue Karriere auf. Mit Open Up Babe stellte er seine erste Single vor, gefolgt von Weirdo und seinem aktuellsten Track Empty. In diesem Jahr ist zudem sein erstes Album mit dem Titel "Don't Leave Too Soon" erschienen.

Die Gefühle, seine Gefühle, sind ihm enorm wichtig, wenn es um Musik geht, und aus diesem Grund hält er mit diesen auch nicht zurück, wenn er neue Songs schreibt. So ist es auch zu erklären, dass er eines Tages genug vom Versteckspiel hatte und sein wahres Ich zeigen wollte. Während ihn die beruflichen Konsequenzen seines Coming outs hart getroffen haben, fühlte er umso mehr die Unterstützung seines Umfelds und von der Familie.

Im Interview mit gay.ch erzählt er davon, was es heisst, in einem Land aufzuwachsen, in welchem Homosexualität nach wie vor verboten ist, und was es bedeutet, keine LGBTI+ Vorbilder zu haben. Doch er spricht auch darüber Nachts aufzuwachen und einen Song unbedingt niederschreiben zu müssen, und wie er die Einsamkeit innerhalb der Community in seinem neusten Song Empty verarbeitet hat.

gay.ch: Zuerst: Herzliche Gratulation zu deinen neuen Singles, dem Remix, dem Artwork und natürlich zum Videoclip. Wie schreibst Du eigentlich Deine Songs?
Wils: Danke! Ich schreibe meine Songs basierend auf Erfahrungen, welche ich in meinem Leben gemacht habe. Normalerweise sind dies Sachen, für welche ich starke Gefühle empfinde. Es kommt dabei schon mal vor, dass ich mitten in der Nacht einen ganzen Song in meinem Kopf zusammenstellen… und dann kann ich nicht anders als aufstehen, den Song niederschreiben, denn sonst käme ich ohnehin nie mehr zum Schlafen. Ideen nehme ich jeweils auch auf meinem Voice Memo auf, zupfe ein paar Akkorde auf meiner Gitarre. Und das, was ich denke, passt am Besten zu meinem Stil, sende ich schliesslich an meinen Produzenten. Danach schreibe ich die Lyrics und renne ins Studio, was meist damit endet, dass ich vor dem Micro irgendwelchen Spass mache und schräge Töne von mir gebe, bis es schliesslich Click macht in meinem Kopf, et voila, da ist der Song!

Und die Inspirationen zu deinen Videoclips…
Die drehen sich meist um Gefühle, welche mich stark beschäftigen. Ich denke, dass es zudem sehr sexy ist, wenn sich jemand von seinen Gefühlen leiten lässt, und auch ehrlich dazu steht. Das inspiriert mich enorm.

Deine neue Single Empty handelt von der einsamen Seite innerhalb der schwulen Szene, von Hookups und von der Leere: Wieso hast Du gerade diese Themen gewählt? Denkst Du, diese Themen sollten auch von der Community mehr angesprochen werden, statt immer nur Party, Glitzer und andere oberflächliche Dinge wie die Suche nach dem nächsten One-Night-Stand?
Sicherlich. Es gibt diese einsame Seite innerhalb der Gay Szene, und diese muss auch angesprochen werden, denn jeder kennt sie. Es gibt diese Momente, in denen wir uns einsam fühlen, da heutzutage alles so schnell und direkt ist. Es ist sehr einfach für alle, mit nur einem Click zum Nächstbesten zu springen. Manchmal fühlt man sich nach einem Hookup oder einem ersten Treffen mit jemandem verbunden, aber solche Momente können oft sehr kurzlebig sein, und der Funke springt danach nicht mehr über. Man wünscht sich dann immer, dass dieses Prickeln wieder zurückkehrt. Es gibt dabei so viele Funken, doch kaum eine Flamme, welche am Brennen bleibt. Es fühlt sich zudem auch nie gut an, wenn man abgelehnt wird. Bei Empty geht es eben darum: Um die Suche nach Liebe, aber an den falschen Orten. Und man weiss genau, dass die Liebe, welche man findet, nur kurzlebig ist, doch trotzdem will man weiter daran glauben.

Am Anfang deiner Karriere bist Du als Wiltay aufgetreten, heute bist Du unter dem Namen Wils bekannt: Vor kurzem hattest Du zudem dein Coming out. Wie hat dieser Moment deine Karriere verändert, bist Du doch der erste offen schwule, chinesischstämmige Sänger?
Es war der richtige Moment für ein Coming out. Es ist wichtig und es ist genau das, was die Musikindustrie in Asien jetzt braucht. Es gibt kaum LGBTI+ in der Musikindustrie in Asien, und es ist nun an der Zeit, dass Künstler, einzelne Personen oder auch Organisationen vorwärts machen und diesen Wandeln einläuten um damit den Weg für alle LGBTI+ Jugendlichen zu ebbnen, damit sich diese angenommen und repräsentiert fühlen. Ich wollte auch ehrlich zu meinen Fans, gegenüber mir selber und auch gegenüber meiner Familie sein. Meine Plattenfirma in Asien hat mich dann aber wegen meiner Sexualität fallen gelassen, da sie sich um ihren Ruf fürchteten. Ich habe vor 40’000 Personen performt, bin über die roten Teppiche gelaufen, habe all diesen Glitzer und den Glamour mitgemacht, aber ich habe mich dabei nie mich selber gefühlt. Sie haben dann kurz zuvor meinen Social Media-Kanal mit meinen über 400’000 Followern gelöscht, und dies noch bevor ich meine Sexualität öffentlich machen konnte. Ich habe aber ein gewisses Verständnis dafür, da Firmen ihren Ruf schützen müssen und LGBTI+ in Asien nun mal nicht sehr akzeptiert sind. Ich bin aber dankbar für den Erfolg, den wir damals hatten. Authentisch und mich selber sein zu können, damit musste ich mich mein ganzes Leben lang beschäftigen, und ich habe mich entschieden, keinen Tag länger jemand zu sein, der ich gar nicht bin. Es war einfach schlicht ermüdend. Es ging auch um einen Wandel, den ich für die LGBTI+ Community vollziehen wollte. Einige meiner Fans haben mich danach wieder entdeckt und es hat mich sehr berührt, dass sie mich seit dem ersten Tag noch immer voll unterstützen. Ich habe seither eine so viel bessere Verbindung zu meinen Fans.

Wie verlief denn dein Coming out, zuerst bei der Familie und dann auch öffentlich? Wie hat es Dich persönlich und wie hat sich dein Umfeld verändert?
Meine Familie und ich sind uns nun viel näher. Einer der Gründe für mein Coming out war auch, dass ich meine Familie authentisch lieben wollte, so wie ich selber bin. Ich hatte aber grosse Angst, denn ich fürchtete, dass sie mich danach nicht mehr lieben würden. Doch ich habe den Mut gefunden, und meine Familie hat mir gezeigt, dass es okay ist, mich selber zu sein, und dass sie mich lieben, egal was noch kommen mag. Sie zeigten mir, dass ich meinen Platz als schwulen Mann in dieser Welt haben, und dass das Leben so schön sein kann, wenn man sich selber ist.

Wie war es für Dich in einem Land wie Singapur aufzuwachsen, wo Homosexualität noch immer sehr strikt gehandhabt wird und ein grosses Tabu darstellt?
Es war schwer schwul zu sein. Es gab nichts, wo ich hin konnte oder mich dazugehörig fühlen konnte. Als ich aufwuchs, hatte ich niemanden, mit dem ich über meine Sexualität sprechen konnte. LGBTI+ erkennen sich zwar, wenn sie sich auf der Strasse begegnen, doch sie würden sich nie die Hände schütteln, wenn sie sich sehen. Und genau das müssen viele Jugendliche in Asien durchleben: Sie müssen ihren Platz in der Welt finden, und ihre Sexualität verstecken um sich und ihre Familien zu schützen. Ich hatte immer das Gefühl, dass es falsch ist, mich selber zu sein. Ich fühlte mich stets am falschen Ort und sehr einsam. Obwohl mir meine Eltern immer das Gefühl gaben, dass sie mich lieben, wollte ich mich verstecken, denn ich wollte sie nicht verletzen. Ich wollte schlicht nicht, dass sie den Schmerz erleben müssen, den ich als Jugendlicher durchmachen musste, da ich das Gefühl hatte, nicht in diese Gesellschaft zu passen. Glücklicherweise ändern sich diese Ansichten nun in Singapur stark. Organisationen wie das Pink Dot klären die Menschen in Bezug auf Inklusivität auf und helfen LGBTI+ ihren Platz in einer Gesellschaft zu finden, welche sie immer mehr akzeptiert. So können sie sich sicherer und mehr Zuhause fühlen. Wir können zudem viele Leben schützen, indem wir inklusive sind. Zum Glück geht es diesbezüglich nun auch in Singapur vorwärts, und ich bin froh, dass sich Jugendliche, welche jetzt in Singapur aufwachsen, wohler fühlen können und mehr inklusivere Orte finden als früher.

Bekommst Du auch Reaktionen von LGBTI+ Fans in Singapur?
Ich treffe mich immer mit meinen Fans, wenn ich bei meiner Familie in Singapur zu Besuch bin. Die sind mir sehr wichtig und sie halten mich immer auf dem laufenden was die Gay-Kultur in Singapur betrifft. 

Sieht man Dich eines Tages auch auf der Bühne des Pink Dot in Singapur?
Ich würde sehr gerne beim Pink Dot performen, wenn ich die Chance erhalte. Singapur wird definitiv weiter Fortschritte in Bezug auf die Akzeptanz der Rechte der LGBTI+ Menschen machen, und wir sind daran den Weg dazu zu bereiten - gerade jetzt!

Im Moment lebst Du in Los Angeles. Während Du in Singapur Fortschritte in Bezug auf die Rechte der LGBTI+ siehst, machen die USA unter Trump gerade Rückschritte. Wie gehst Du damit um in zwei so unterschiedlichen Welten zu leben?
Ich bleibe mich selber, egal wo ich bin. Ich habe gelernt, dass man seinen Platz in dieser Welt finden kann, wenn man sich selber ist. Kämpfe nicht mit jemandem, wenn sie Dich aufgrund deiner Sexualität provozieren wollen. Manchmal ist es das einfach nicht Wert. Doch wenn es jemand übertreibt und dein Leben in Gefahr ist, dann musst Du achtsam sein und auch mal um Hilfe bitten, wenn Du sie brauchst. Frage immer nach Hilfe. Die Community liebt Dich nämlich und wird sich für Dich einsetzen - so wie ich es auch tun würde.

Was sind deine nächsten Pläne? Wirst Du in Los Angeles bleiben oder siehst Du deine Zukunft wieder in Singapur?
Ich möchte mit anderen Künstlern zusammenarbeiten, mein Album veröffentlichen und die Welt bereisen. Los Angeles wird momentan mein Zuhause bleiben, und Singapur ist jener Ort, wo ich Zeit mit meiner lieben Familie verbringen werde.