INTERVIEW: Fat Tony - eine wahre Legende der Londoner Clubszene
Mit seinen ikonischen Sets aus House und Disco hat er in den renommiertesten Clubs dieser Welt gespielt, so etwa im Ministry of Sound in seiner Heimatstadt bis hin zum Space auf Ibiza oder am Glastonbury Festival. Dass er aber heute wieder auf einer derartigen Erfolgswelle surft, ist alles andere als selbstverständlich.
Die Jahre im Nachtleben forderten ihren Tribut: Alkohol und Drogen gipfelten gar in der Obdachlosigkeit. Doch Fat Tony hat sich ins Leben zurückgekämpft - und wie. Heute steht er wieder an den Decks und er hat sich auch zu einem wichtigen Kämpfer für die Rechte der LGBTI+ Community entwickelt. So arbeitet er mit grossen Brands zusammen um sie für queere Anliegen zu sensibilisieren, und er fordert die Community lautstark dazu auf, politisch wieder aktiver zu werden - gerade in der heutigen Zeit.
Im Interview mit gay.ch erzählt er offen, wie er seine Erfahrungen von damals nutzt um anderen zu helfen, wie er die aktuelle Krise im queeren Londoner Nachtleben sieht und wieso er es nicht verstehen kann, dass sich viele in der LGBTI+ Community nicht für ihre eigene Geschichte interessieren.
Am 17. Januar wirst Du an der Disco Kitchen in Zürich spielen: Worauf freust Du dich bei deinem Auftritt in Zürich?
Fat Tony: Das letzte Mal, dass ich in der Schweiz gespielt habe, war vor ein paar Jahren während den EuroGames in Bern und ich hatte eine grossartige Zeit. Alle waren sehr respektvoll und einfach da, um sich zu amüsieren. Am kommenden Wochenende vor einem queeren Publikum spielen zu können, ist immer ein Vergnügen, und als meine erste Show in diesem Jahr werde ich sicher sehr aufgeregt sein.
Mit Spotify und Social Media hat heute fast jeder eine Plattform, um Musik zu veröffentlichen. Wie hältst Du dich auf dem Laufenden? Und was hat sich für dich verändert, wenn du auf deine Karriere zurückblickst?
Die sozialen Medien haben meiner Karriere wirklich zu neuen Höhenflügen verholfen. Während der Pandemie sah ich eine Gelegenheit, mein Publikum mit all der Freizeit, die jeder hatte, zu vergrössern. Mein Instagram-Kanal hat dabei eine grosse Rolle gespielt, mein Profil zu stärken. Jetzt benutze ich Instagram hauptsächlich als Werkzeug, um meine anderen sozialen Medien zu verbinden. Da ich in diesem Jahr zum ersten Mal seit langer Zeit wieder neue Musik veröffentlichen werde, ist es nicht nur aus karrieretechnischer Sicht grossartig, sich auf meine Fans verlassen zu können, sondern es ist auch wunderbar, mit Menschen in Kontakt zu treten, was ich ständig tue. Es ist wichtig, in der Branche auf dem Laufenden zu bleiben - ob es nun darum geht, von Vinyl auf CD auf USB umzusteigen oder zu lernen, wie man einen digitalen Footprint aufbaut, wenn man nicht auf dem Laufenden bleibt, wird man zurückgelassen. Und mir geht es vor allem darum, nach vorne zu schauen.
Du hast einmal gesagt, dass Dich das mangelnde Interesse der Menschen an der Geschichte erschreckt, vor allem innerhalb der LGBTI+ Community: Hast Du immer noch dieses Gefühl, oder siehst du einen Wandel, da die extreme Rechte stärker wird und die LGBTI+ Community sich immer mehr bewusst wird, dass wir unsere Rechte nicht als selbstverständlich ansehen können?
Ja! Jetzt mehr denn je. Es fühlt sich an, als würde die Welt rückwärts gehen und es ist eine beängstigende Zeit. Das mangelnde Interesse, und neuerdings auch, dass die Aufklärung über die LGBTI+ Geschichte als Waffe gegen die Community benutzt wird, ist sehr gefährlich. Die trans Community hat zwischen 2010 und 2020 grosse Fortschritte gemacht, aber mit der Zunahme negativer Kampagnen in den sozialen Medien ist sie jetzt so gefährdet wie seit Jahren nicht mehr. Sogar innerhalb meiner eigenen Gemeinschaft gehen einige Leute gegeneinander vor, was mich verdutzt. Gemeinsam sind wir stärker! Was hat man davon, die Existenz von jemandem zu leugnen? Das ist echt verrückt!
Du hast mit internationalen Marken zusammengearbeitet, um Online-Plattformen für die queere Community zu schaffen: Wie fühlst Du dich jetzt, wo immer mehr grosse Unternehmen LGBTI+ aufgrund von politischem Druck den Rücken kehren?
Ich habe auch festgestellt, dass sich immer mehr Unternehmen von der Finanzierung und den Kampagnen für LGBTQ+ abwenden, sei es aufgrund von politischem Druck oder einfach aus wirtschaftlichen Gründen. Wenn unser "Pink Pound" nicht mehr in ihre Richtung fliesst, werden sie zurückkommen. Die meisten dieser Unternehmen haben immer nur in unsere Community investiert, weil es für sie eine Möglichkeit war, soziale Verantwortung zu zeigen, sie haben sich nie wirklich dafür interessiert. Und wenn sie uns nicht wollen, dann wollen wir sie auch nicht. Sie können ihr Geld nehmen und sich verpissen. Und wir werden genau dasselbe tun.
Wenn Du an deine Heimatstadt London denkst - jetzt und damals: Wie empfindest Du den wachsenden Druck auf das queere Nachtleben, wenn immer mehr Safe Spaces schliessen?
Ich sage immer, dass alles im Leben ein Kreislauf ist, richtig? Es entsteht etwas Schönes, es wächst und wird schliesslich zu gross, dann stirbt es und macht Platz für etwas anderes, das neu geboren wird. Es ist traurig, dass so viele queere Räume geschlossen wurden, weil sich viele in unserer Community dort viel besser integriert gefühlt haben, aber es würde mich nicht überraschen, wenn bei all den politischen Ereignissen aktuell plötzlich wieder mehr Queer Spaces eröffnet werden. Vielleicht wird es nicht die klassische Schwulenbar sein, vielleicht wird es etwas Neues. Unabhängig davon gibt es da draussen immer noch einige unglaubliche, von Queers geführte Unternehmen, und ich bin gespannt, was die nächste Phase sein wird. In der Zwischenzeit sollte jeder sein lokales LGBTQ+ Geschäft unterstützen!
Du bist offener mit deinem Privatleben umgegangen als viele andere: Du hast über deine Suchtprobleme, deine Obdachlosigkeit und deinen HIV-Status gesprochen - was hat dich dazu bewogen?
Ich hatte das Gefühl, dass es meine Pflicht war, dies zu tun. Seit ich trocken bin, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, anderen bei all dem zu helfen, was ich durchmachen musste. Trocken zu sein hat mir weit mehr gegeben, als ich je hätte erhoffen können, und so war es für mich selbstverständlich. Es kann aber manchmal auch hart sein, daran zu arbeiten, denn es ist überraschend, gerade für eine öffentliche Person, gibt es so viele schreckliche Menschen, die versuchen, eine gute Sache zu nehmen und sie umzudrehen und einen anzugreifen, aber alles, was man tun kann, ist, sich darüber hinwegzusetzen und die Arbeit fortzusetzen. Meine Kampagnen für HIV-Tests, meine Arbeit zur Unterstützung von Menschen auf ihrem Weg, nüchtern zu sein, die Hilfe für Obdachlose, insbesondere als jemand, der selbst einmal obdachlos war, all das ist einfach zu wichtig, als dass es mir nicht am Herzen liegen würde.
Du bezeichnest Boy George, den Du schon sehr lange persönlich kennst, als deinen wichtigsten Mentor: Wie kommt das und was genau bedeutet er für dich in deinem Leben?
Gina ist mein bester Freund, seit wir Kinder waren. Ich habe keine andere Freundschaft so wie diese. Er ist mein Bruder, und wie Geschwister wollen wir uns manchmal gegenseitig erwürgen. Ich habe ihm geholfen, trocken zu werden, und auch er hat mir bei unzähligen Gelegenheiten geholfen. Wir sind füreinander da, gehen durch dick und dünn, egal, ob wir gerade miteinander reden. Als nächstes ist er mein Trauzeuge bei meiner Hochzeit, mal sehen, wie das läuft. Haha