INTERVIEW: Melissa Etheridge

INTERVIEW: Melissa Etheridge
Seit ihrem Debüt in den 1980er Jahren wird Melissa Etheridge von den Musikkritikern gefeiert: Am 6. Juli kommt die US-Amerikanerin endlich wieder für ein Konzert in die Schweiz. Bereits jetzt erzählte sie gay.ch, wie es sich als lesbische Frau anfühlt, aktuell in den USA zu leben, wie es ist, wenn nun an Konzerten Tausende von Mobiles auf einen gerichtet sind und was sie neben Tourneen in den vergangenen Jahren sonst noch alles auf die Beine gestellt hat.

Sie hat praktisch alles erreicht, wovon eine Musikerin Träumen kann: Bereits mit ihrem Debüt hat Melissa Etheridge die amerikanische Rockszene erobert, seither hat sie sich zu einer gefeierten Musikgrösse gemausert, Grammys und einen Oscar gewonnen, und sich auch zu einer wichtigen Fürsprecherin für die Rechte queerer Menschen entwickelt.

Bevor Melissa Etheridge am 6. Juli im Rahmen ihrer aktuellen Welttournee nach Zürich kommen wird, erzählte sie gay.ch davon, wie es sich unter der aktuellen Regierung in den USA lebt, wie sich das Musikgeschäft seit ihrem ersten Album in den 1980er Jahren verändert hat, sowie, wie es zu ihrer One-Woman-Show im Theater und zu ihrer eigenen Doku-Serie gekommen ist...

Wie geht es Dir heute? Ich denke, diese Frage war selten so wichtig wie in diesen, für die Mitglieder der LGBTI+ Community in den USA, schwierigen Zeiten.
Mir geht es eigentlich sehr gut. Ich versuche wirklich, mein Glück zu etwas zu machen, das aus meinem Inneren kommt und nicht endet, wenn die Dinge um mich herum nicht gut laufen. Also, weisst du was? Mir geht's gut. Es geht mir sehr gut. Und ich lebe in Kalifornien. Ich schaue mich um, und dies ist ein wunderbarer Bundesstaat, der Einwanderer und auch die LGBTQI+ Community schützt. Und ja, mir geht es also gut.

Du warst in letzter Zeit an vielen neuen Projekten beteiligt: Da war zum Beispiel deine One-Woman-Show. Wie war es für dich, auf einer Theaterbühne zu stehen?
Ach, du meine Güte. Das war ein wahr gewordener Traum. Als ich im Mittleren Westen, in Kansas, aufgewachsen bin, habe ich mir viele Broadway-Aufnahmen angehört. Ich war ein grosser Fan von Godspell, Jesus Christ Superstar, Hair, einfach allen Broadway-Musicals, und ich habe es geliebt. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Broadway-Bühne, was die Aufführung angeht, der Höhepunkt einer Performance ist, also war ich sehr stolz, auf dieser Bühne zu stehen und meine One-Woman-Show zu präsentieren. Ich hatte eine wunderbare Zeit. Es gibt nichts Vergleichbares zum Broadway. Ich habe es wirklich genossen.

Und dann war da noch die Doku-Serie auf Paramount+: Wie bist Du auf die Idee gekommen, mit fünf weiblichen Insassen der Topeka Correctional Facility zu arbeiten und Musik zu schreiben, die auf ihrem Leben basiert?
Die Doku-Serie auf Paramount+, oh, das war ebenfalls ein lang gehegter Traum, der wahr wurde. Ich bin in Leavenworth, Kansas, aufgewachsen, einer Stadt, die in Amerika als eine Stadt mit vielen, vielen Gefängnissen bekannt ist. Wir haben etwa fünf Gefängnisse im Umkreis von 20 Meilen um die Stadt. Und als ich aufwuchs, befand sich drei Blocks von meinem Haus entfernt das grosse Bundesgefängnis. Sie nannten es "The Big House", und ich konnte es von meinem Fenster aus sehen. Es war einfach ein Teil der Landschaft. Und als ich etwa acht Jahre alt war, kam Johnny Cash tatsächlich in meine Kleinstadt Leavenworth, Kansas, und trat im Gefängnis auf. Wir durften ihn nicht sehen, aber die Gefangenen schon. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich als Kind, dass Gefängnisse ein Ort der guten Unterhaltung sind. Als ich dann etwas älter wurde, stellte ich fest, dass es für Johnny Cash sehr ungewöhnlich war, so etwas zu tun. Aber tatsächlich ging ich als Teenager hinter die Gitterstäbe aller fünf dieser Gefängnisse und trat für alle Gefangenen dort auf. Und das war eine Erfahrung, die mir in Erinnerung geblieben ist, weil alle dort dankbar waren. Sie waren so enthusiastisch und wurden von der Musik mitgerissen. Und ich wollte immer wieder dorthin zurückkehren und das tun. Und schliesslich arrangierten wir das mit dem Frauengefängnis von Kansas in Topeka. Und es war erstaunlich. Ich traf die Frauen, die dort waren, und so schrieb ich einen Song darüber, wie es ist, eine Frau zu sein, nicht aufzugeben und zu versuchen, das Beste aus sich herauszuholen, damit man nicht gebrochen wird und weiss, dass man es trotzdem wert ist. Es war eine grosse Ehre, das zu tun, und ich bin sehr stolz auf dieses Projekt.

Aber natürlich gibt es auch die Musik: Du bist seit den 1980er Jahren im Geschäft. Wie hat sich das für dich verändert, zum Beispiel mit Social Media, Spotify, aber auch mit Tausenden von Handys, die bei Konzerten auf dich gerichtet sind?
Ja, ich bin seit den 1980er Jahren in der Musikbranche tätig und habe grosse Veränderungen miterlebt. Unglaubliche Veränderungen von den sozialen Medien bis zum Internet. Meine allererste Platte, die allererste Platte, die ich herausbrachte, wurde auf Vinyl und Kassette veröffentlicht. Und dann hatten wir CDs, wir hatten MP3s, und jetzt gibt es sie nur noch auf diesen Seiten namens Spotify und so. Und das ist in Ordnung, denn solange die Leute die Musik bekommen, die Musik finden. Ich liebe es, Tausende von Songs auf meinem Handy zu haben, auf die ich einfach zugreifen kann. Und die Telefone bei Konzerten, weisst du, die Leute wollen diese Erinnerung mit nach Hause nehmen, die Leute wollen sie wieder hören. Ich kann immer daran erkennen, welche Songs gut ankommen, wie viele Handys hochgehalten werden. Und wie auch immer jemand die Show, meine Show, das Konzerterlebnis geniessen möchte, wie auch immer die Person das tun möchte, für mich ist das in Ordnung. Ich habe mit allem kein Problem.

Du bist bekannt dafür, für die Rechte von LGBTI+ zu kämpfen, und Du bist auch verheiratet: Hast Du Angst, dass deine Ehe durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wieder ungültig werden könnte?
Nun, ich lebe in dem wunderbaren Staat Kalifornien, und Kalifornien hat dafür gesorgt, dass wir unsere Rechte, unsere Eherechte, gefestigt haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich meine Rechte in Kalifornien nicht verlieren werde. Aber ich hoffe, dass das nicht anderen Menschen passiert. Aber mit dieser Art von Führung, die wir jetzt haben, wer weiss?

Ellen DeGeneres und Rosie O'Donnell haben die USA wegen Donald Trump verlassen: Hast Du auch mit diesem Gedanken gespielt? Wie siehst Du die kommenden zwei Jahre bis zu den Zwischenwahlen, und die nächsten vier Jahre bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen?
Ja, Ellen und Rosie sind weggegangen, in ein anderes Land. Sie können es, sie haben das Geld und die Mittel, um das zu tun. Und nein, ich will nicht weg. Ich möchte hier bleiben. Ich möchte die Menschen ermutigen. Ich möchte LGBTQI+ Menschen unterstützen. Ich möchte heteronormative Menschen ermutigen. Ich möchte die Menschen ermutigen und ihnen sagen, dass Veränderung immer passieren. Und manchmal müssen wir weit in die Ferne schweifen, um wieder zurückzukommen um sinnvolle Veränderungen zu erreichen. Und ich denke, das ist es, was in der Zukunft liegt. Und das ist es, worauf ich schaue. Ich suche nach der Zukunft. Wenn ich in die Zukunft blicke, dann denke ich, dass es wegen all dieser Verrücktheiten, die wir hier in meinem Land erleben, zu grossen Veränderungen kommen wird.