INTERVIEW: Rufus Wainwright

INTERVIEW: Rufus Wainwright
Darüber, was wir von Harvey Milk lernen können, wie es um die LGBTI+ Community in den USA steht, und wie sich die Studioarbeit für ein neues Album in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat: Rufus Wainwright präsentiert am 10. Juli sein neues Album Unfollow The Rules, und bereits zuvor stand er gay.ch Red und Antwort...

Die Idee einer "Koalition der Freaks", wie sie Harvey Milk ins Leben gerufen hat, sei sehr inspirierend, denn um gegen die Unterdrückung anzukämpfen, müssen wir alle zusammenstehen, die Queers mit den Frauen, der People of Color, den indigenen Menschen und vielen anderen Minderheiten mehr. In erster Linie gehe es dabei darum, im November vier weitere Trump-Jahre zu verhindern, wie er in unserem Interview gleich zweimal betont. Damit unterstreicht Rufus Wainwright auch gleich, dass er politisch kein bisschen ruhiger geworden ist und er sich nach wie vor wie eh und je für die Rechte der LGBTI+ Community einsetzt. 

Mit Unfollow The Rules erscheint am 10. Juli endlich sein neues Album, welches eigentlich längst hätte erscheinen sollen, aber aufgrund der Coronapandemie ebenfalls verschoben werden musste. Was seine Rolle als schwuler Familienvater mit dem Album zu tun hat, wie sehr er das Performen auf der Bühne vermisst, und was er in uns allen mit seiner Musik hervorrufen will, hat der bald 47-jährige Musiker uns im Interview erzählt.

Diese Frage war wohl selten so wichtig wie gerade jetzt: Wie geht es Dir?
Mir gehts gut. Ich wurde kürzlich auf Covid getestet, da mein Mann und ich eine Campingtrip in den Norden gemacht haben. Ich habe mich nicht infiziert, und das ist gut so. Ich bin sehr dankbar für das was ich habe, und für das was ich in dieser Zeit geben kann. Es gibt so viel Leid in der Welt und ich hoffe wirklich, dass 2020 ein Schlüsseljahr ist, auf welches wir als eines der schlimmsten in diesem Millennium zurückblicken, aber auch auf eines, in welchem viel positives gestartet wurde. Die Black Lives Matter Bewegung ist super wichtig, und ich bin stolz darauf, wie auch die Gay Community diese Bewegung aufgenommen hat. Dies muss das Jahr werden, in welchen wir Donald Trump aus dem Amt wählen, in welchem die Leute verstehen, dass Umweltrechte auch Menschenrechte sind und so vieles mehr...

Für dein neues Album Unfollow The Rules bist Du zurück in das gleiche Studio, in welchem Du schon an deinem Debut-Album gearbeitet hast: Wie war diese Rückkehr für Dich?
Es war unglaublich, in diesen Räumen zurück zu sein, in welchen einige der grossartigsten Alben unserer Zeit produziert wurden. Aber es war anders als beim ersten Mal, als mein Plattenlabel das Studio während Monaten für mich buchte und ich dachte, sie würden dafür auch bezahlen. Sie bezahlten, setzten es aber mir auf die Rechnung und ich habe mich erst kürzlich von diesen ersten Alben erholt. Diesmal haben wir die Studio-Sessions sehr gut geplant und es dauerte nur wenige Tage bis wir es so hatten, wie wir es wollten. Aber genau so wie es einen Unterschied gibt, ob Du in der Carnegie Hall oder im Zürcher Opernhaus - wo ich leider noch nie singen konnte - auftrittst, so gibt es auch einen Unterschied wenn Du deine Aufnahmen in diesen grossartigen Studios machst.

Und, ich denke, was heute auch sehr selten ist, dass Du die Songs im Studio meist mit nur einem Take und mit einer "echten Band" eingespielt hast: Hat das den Druck auf Dich erhöht, oder war dies einfach eine Möglichkeit für Dich um als Musiker authentischer zu sein?
Ich war schon immer der Meinung, dass Du als Musiker nur so gut bist, wie Du auch der Bühne bist. Bei mir gibt es nur einen Produzenten für das ganze Album, und nur ein Songschreiber und nur ein Songtexter. Die meisten der Top-10 Songs heute haben gleich mehrere Produzenten und mehrere Songwriter. Ich bin etwa mit fünf Prozent an einem Song von Mark Ronson beteiligt, bei dem ich eine einfache Zeile beigesteuert habe. Die meisten Songs werden heute von Armeen von Menschen geschrieben und leider klingen sie alle ein bisschen gleich, zudem altern sie nicht sehr gut, da diese Maschinerie ständig mit neuen Dingen gefüttert werden muss. Ich bin da viel altmodischer und glaube an das Handwerk selber, die Melodien, die Kunst eines Songs und am wichtigsten an die Texte. Und da gibt es etwas beim Live-Einspielen, welches so viel mehr Emotionen in eine Aufnahme bringt, als wenn man es auf künstlichem Weg zusammenbastelt. Ich möchte, dass meine Musik Tiefgang hat, um Dich im Innern zu bewegen, und nicht nur, dass deine Beine zu tanzen beginnen...

Im Moment legst Du deinen ganzen Fokus auf deine Familie, deinen Mann und euer Kind: Denkst Du, dies hatte auch einen Einfluss auf dein neues Album?
Ich betrachte es als mein erstes erwachsenes Album. Es ist quasi der Abschluss zu meinem ersten Album, und irgendwie auch ein Abschluss des ersten Teils meiner Karriere. Mit meinem nächsten Album möchte ich etwas ganz anderes ausprobieren. Es gibt viel übers Vatersein, und darüber, ein Familienmensch zu sein in diesem Album. Dazu habe ich Songs über meine Tochter und über meinen Ehemann, sowie über andere Personen geschrieben, welche mir nahe stehen. Ich denke, ich habe die Sturm und Drang-Zeit, sowie die Angst meiner früheren Alben etwas abgelegt, aber sie ist immer noch ein bisschen da. Es geht nun vielmehr darum, ein bestimmtes Level in deinem Leben zu erreichen, eine gewisse Stabilität, Harmonie und um ein Fundament. Ich glaube zudem auch, dass dies ein Album über das Überleben ist. Viele Sänger, welche mit mir angefangen haben, haben ihre Vierziger nicht erreicht. Jeff Buckley ist beispielsweise einer. Ich habe so viel durchgemacht und habe mich allem hingegeben, soweit ins extreme wie es auch nur ging, doch ich würde sagen, dass ich schlussendlich immer leben wollte. Ich gehe an dunkle Orte, aber um dort Licht hinzubringen.

Die aktuelle Situation in den USA ist, gerade unter der aktuellen Regierung, alles andere als einfach für die LGBTI+ Community: Wie gehst Du damit um, und welches sind deine Hoffnungen und Wünsche für die kommenden Wahlen, aber auch für die Community?
Für die geistige Gesundheit unseres Planeten dürfen wir Trump nicht noch mal für vier Jahre gewinnen lassen. Das darf einfach nicht passieren. Die LGBTI+ Community war schon immer ein Sündenbock und ein Ziel für so manche Sachen. Ich kann es einfach nicht verstehen, wie Menschen so Angst haben können vor Liebe. Trump und die Republikaner versuchen die Zeit wieder zurückzudrehen, aber ich denke nicht, dass es ihnen gelingen wird. Die schwule, lesbische, transgender, queere Katze ist aus dem Sack. Selbst das Oberste Gericht musste das vor kurzem eingestehen, als sie dem Schutz für Transgender-Angestellte vor Diskriminierung auf der Basis des Geschlechts zustimmten. Neil Gorsuch, der erste, von Trump ernannte Richter für das Supreme Court, war verantwortlich für die mehrheitsfähige Meinung. Natürlich, wir müssen weiter kämpfen, und ich hoffe auch, dass die Gay Community mitmacht und auch für andere, welche derzeit leiden, einsteht, etwa die Frauen, People of Color, indigene Menschen, die Umwelt an sich und vieles mehr. Eines der Konzepte, welches mich seit jeher an Harvey Milk so inspiriert hat, ist seine Idee der "Koalition der Freaks". Wir sind alle Freaks und wir sollten gemeinsam gegen die Unterdrückung kämpfen. Harvey Milk ist eine echte Inspiration, gerade in einer Zeit, in der viele unserer politischen Führer so unglaublich korrupt sind und viele Menschen das Vertrauen in sie verlieren. Er war jemand, der sich noch dazu berufen fühlte, zu dienen, auch spät in seinem Leben. Wenn ich an ihn denke, kommen mir auch Leute in den Sinn wie Alexandra Ocasio Cortez oder Katie Hill, welche wahre Inspirationsquellen sind. Sie kamen in den Dienst der Öffentlichkeit, und zwar nicht wegen der Karrieremöglichkeiten, sondern weil sie sahen, was da abging, und merkten, dass sie zu einem Wechsel aufrufen mussten.

Mit der nächsten Frage gehts eigentlich nun nochmals zum Anfang dieses Interviews: Was denkst Du, wie wird es für Dich nach einer so langen Zeit des Social Distancing sein, wieder auf der Bühne zu stehen und mit Fans zu interagieren?
Ich befürchte, dass dies leider im Jahr 2020 nicht mehr passieren wird. All meine Live Shows wurden bereits aufs 2021 verschoben. Wir haben kürzlich aber für Arte ein Konzert in einer wunderschönen Villa mit dem Namen Paramour in Silverlake gefilmt. Es wurde live gestreamt und 200'000 Leute haben zugeschaut, zudem wird es demnächst ausgestrahlt. Es war einfach nur schon unglaublich endlich wiedermal mit anderen Musikern in einem Raum zu sein. Wir bekamen zwar alle ein 25-seitiges Health & Safety-Dokument mit allen Massnahmen, welche wir einhalten mussten, doch am Ende des Tages war es einfach nur unglaublich Musik mit einander zu machen, obwohl wir zwei Meter Abstand von einander haben und Gesichtsmasken tragen mussten. Ich bin einfach eine Person für die Bühne, meine erste Krippe war ein Gitarrenkoffer, in welchen mich meine Eltern neben der Bühne legten, während sie performten. Ich liebe es auf der Bühne vor einem Live Publikum aufzutreten und ich kann es kaum erwarten, dies endlich wieder zu tun. Doch dies alles muss in einer Umgebung stattfinden, welche sowohl für die Leute auf der Bühne, wie auch für das Publikum sicher ist.

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Tracklist:
1- Trouble in Paradise
2- Damsel in Distress   
3- Unfollow the Rules  
4- You Ain't Big
5- Romantical Man
6- Peaceful Afternoon
7- Only the People That Love
8- This One's for the Ladies (That Lunge!)
9- My Little You
10- Early Morning Madness
11- Hatred
12- Alone Time