INTERVIEW: Woodkid

INTERVIEW: Woodkid
Sieben Jahre nach seinem gefeierten Debutalbum präsentiert Woodkid sein Zweitling mit dem Titel S16. gay.ch hat sich mit dem queeren Künstler über seine Musik unterhalten, aber auch darüber, wie er in diesem Jahr die Pride verbracht hat und wie er mit der aktuell stark zunehmenden LGBTI+ Feindlichkeit - auch in Frankreich - umgeht...

Das Video zu Teenage Dream von Katy Perry stammt von Woodkid, ebenso wie Born To Die von Lana Del Rey, Sign Of The Times von Harry Styles oder das 24-Stunden-Konzept von Pharrell Williams Happy-Video. Dies sind nur ein paar wenige Beispiele, welche die schier grenzenlose Kreativität von Yoann Lemoine aka Woodkid zeigen.

Nach seinem Debut mit The Golden Age im Jahr 2013 stellte der queere Singer/Songwriter nun sein zweites Album vor. Mit gay.ch sprach der gebürtige Franzose nun über seine neue Musik, seinen grossartigen Auftritt am Montreux Jazz Festival, aber auch über die LGBTI+ Community und das aussergewöhnliche 2020, in welchem praktisch keine Pride stattfinden konnte...

gay.ch: Deine Performance zusammen mit einem Orchester und einem Chor und einiger deiner Freunde in Montreux im 2016 war grossartig: Wie ist es zu dieser Kollaboration gekommen und wie hast Du es auf der Bühne erlebt?
Woodkid: Die Zusammenarbeit mit dem Montreux Jazz Festival besteht schon seit längerer Zeit. Ich bin jetzt insgesamt fünf Mal dort aufgetreten, und es entstand eine sehr enge Verbindung zu Mathieu Jaton, der jetzt das Festival leitet, und als damals die 50. Ausgabe geplant wurde, bat er mich, etwas Besonderes zu kreieren. Ich habe diese Show gemacht, bei der ich einige meiner Freunde wie Elle Fanning, Ed Droste, Son Lux und The Shoes auf die Bühne eingeladen habe, um einige der Lieder, die ich von ihnen liebe, vorzutragen, aber auch um einige meiner Lieder mit ihnen zu teilen. Ich habe zudem mit Willo Perron an einem erstaunlichen Bühnenbild gearbeitet, das er in Rekordzeit entworfen hat. Wir haben das Strawinsky Auditorium quasi umgebaut, um etwas ganz Besonderes daraus zu machen. Es war eine unglaubliche Erfahrung für mich, es ist etwas, an das ich mich immer erinnern werde, etwas ganz Besonderes für mich. Auch mit einem jungen Chor aus der Schweiz aufzutreten, war etwas sehr Inspirierendes, weil es viel Freude und Fröhlichkeit in diese Show gebracht hat.

Deine Musik, so etwa Run Boy Run, hört man in Fernsehserien, Video Games, Fashion Shows und in Filmen: Wie kommt dies jeweils zustande?
Die Musikbeauftragten rufen uns normalerweise an, um nach dem Titel zu fragen, und dann geht es direkt an mein Management weiter, welches sich um alle rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit diesen Tracks kümmert. Ich finde es immer wieder erstaunlich, weil ich auch selber meine Musik um Bilder herum denke, so dass es für mich wirklich Sinn macht, dass Regisseure, Kreative oder bildende Künstler damit ihre eigenen Geschichten illustrieren wollen. Ich sehe es auch wirklich gern, wie die Musik in den Geschichten von anderen Leuten wirkt.

Das passiert also jeweils zufällig?
Ja, ich denke an Bilder, ich denke dabei aber nicht an einen Werbespot oder einen Film im Besonderen, sondern ich denke an eine bestimmte Form von Emotion, eine bestimmte Form von Epik, und ich denke, das liest sich aus der Musik.

Deine aktuelle Single heisst Goliath: Hast Du sie nach dem bekannten, biblischen Charakter Goliath benannt?
Goliath hat eine gewaltige Kraft, hat etwas, das er überwinden muss. Er kann vieles sein.

Und für was steht dieser Song?
Ich glaube, ich habe versucht, die Interpretation offen zu lassen, und ich habe versucht, sie geheimnisvoll genug zu machen, damit die eigenen Interpretationen der Leute zugelassen werden. In meinem Fall denke ich, spreche ich über die inneren Dämonen, über einige persönliche Kämpfe rund um Zweifel und Selbstvertrauen, bestimmte Formen der Sucht, und Kräfte, die manchmal unmöglich zu besiegen scheinen. Es macht für mich also durchaus Sinn, dieses Lied, welches auch ein Liebeslied ist, mit etwas viel Größerem zu illustrieren, wie einem Teil industrieller Fantasie, die irgendwie von den massiven Kräften dieser Welt handelt.

Deine Tour wurde wegen Corona ebenfalls verschoben: Was denkst Du, wie wird es für Dich sein, nach einer solch langen Zeit des Social Distancing wieder auf einer Bühne zu stehen?
Ich hoffe, dass ich sehr bald wieder auf einer Bühne stehen kann, ich freue mich darauf. Alles, was ich weiß, ist, dass ich hoffe, dass wir nach dieser Krise, und wenn die Welt wieder zu einem friedlicheren Rhythmus zurückkehrt, dass wir alle in Konzertsälen sein und die Chance anerkennen werden, die wir in demokratischen Ländern haben. Dass wir nämlich in der Lage sind, alles aufzuführen, egal was, egal wo, ohne zum Beispiel im Gefängnis zu landen, ohne zensiert zu werden, und hoffentlich ohne Masken und ohne Einschränkungen, damit wir die Musik wieder feiern und sie vielleicht sogar noch mehr schätzen können als zuvor.

Was können wir von der Tour erwarten? Ebenfalls ein Orchester vielleicht? 
Ich habe diese Platte eigentlich um die Idee herum gebaut, sie live zu spielen. Ich habe also schon viele Bilder im Kopf, viele Ideen von Szenografien, musikalischen Übergängen und musikalischen Stimmungen, und ich kann es kaum erwarten, sie aufzuführen.

Du bist Singer/Songwriter, Musikvideo-Regisseur, Graphic Director, Showproduzent und vieles andere mehr, und dabei arbeitest Du mit so vielen Künstlern zusammen: Kannst Du uns schon ein neues Projekt verraten, welches Du nach dem Albumrelease in Angriff nehmen wirst?
Ich denke, ich werde immer daran interessiert sein, um einen Aufführungsort herum zu arbeiten. Wir leben in einer Welt der Entmaterialisierung, und daher denke ich, dass sich meine zukünftigen Projekte mehr um das Materielle, um das Greifbare drehen könnten. Ich bin daran interessiert, mehr mit Tanz zu arbeiten, zum Beispiel mehr mit Ballett und mehr mit Opern, oder vielleicht mit ungewöhnlichen Aufführungsräumen. Alles, was ich weiss, ist, dass ich eine Leidenschaft für Klang und Licht habe. Dies ist eine Kombination, die immer erfolgreich ist und endlos viele Möglichkeiten bietet, also denke ich, dass mein Auge und meine Sensibilität definitiv darauf ausgerichtet sein werden.

Dies ist ein sehr aussergewöhnliches Jahr, auch für die LGBTI+ Community. So gab es im Sommer praktisch keine Pride. Wie hast Du den diesjährigen Pride Month verbracht?
Ich feierte Pride, möglicherweise indem ich erkannt habe, was Pride wirklich bedeutet, und indem ich ernsthaft darüber nachdachte, wie ich mich auf diesem Album vielleicht noch deutlicher diesbezüglich ausdrücken kann als ich es auf dem ersten tat. Ich habe mich viel mit meinen schwulen Freunden, aber auch mit meinen Hetero-Freunden und allen, die dazwischen stehen, ausgetauscht, und wir haben viel darüber gesprochen, was es heißt, seine eigene Identität aufzubauen oder seine eigene Identität zu finden und darauf stolz zu sein. Ich glaube, es war in letzter Zeit eine ziemliche Reise auch für mich selber, um mich neu auszurichten, noch mehr als ich es je zuvor getan habe, und ich fühle mich im Moment sehr ausgeglichen. Ich denke, das ist wahrscheinlich die beste Art, um die Pride zu feiern.

Wie in vielen Ländern, so sind LGBTI+ feindliche Hassverbrechen auch in Frankreich stark am zunehmen, oft auch befeuert von rechtsaussen Politikern. Wie gehst Du mit der aktuellen Situation um, und was wünscht Du Dir diesbezüglich für unsere Community?
Ich denke, die Zeiten von "La Manif pour Tous" (eine Gegenbewegung zur Ehe für alle) in Frankreich war eine ziemlich schmerzhafte Episode. So viele Menschen auf der Straße zu sehen, die gegen Freiheit und Gleichstellung protestieren, ist etwas, das für mich immer noch ziemlich schwer zu verarbeiten ist. Abgesehen davon glaube ich, dass wir als Community noch stärker werden können, wenn wir lauter werden und den Kampf so führen, wie wir es bislang getan haben, einfach noch etwas mehr. Aber wir müssen auch erkennen, was in unserer Community selber falsch läuft. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir auch die uns innewohnenden Muster der Misogynie analysieren, nennen wir es mal Queerofobie - ich bin mir aber nicht sicher, ob das Wort existiert, in Frankreich haben wir dazu das Wort "Follophobie" - welche ich manchmal sehe und die ich sehr in Frage stelle. Ich frage mich, ob es einen Kampf gegen Homophobie gibt, wenn es keinen Kampf gegen die Misogynie in unserer Community gibt, weil beides wirklich zusammengehört. Ich wünsche mir, dass wir darin noch besser werden, und ich persönlich auch, damit wir mit dem gemeinsamen Kampf und dem gemeinsamen Modell, das wir meiner Meinung nach alle dekonstruieren wollen, noch stärker werden können, damit die Welt vorankommen kann. Das wäre eine schöne Sache.

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Sieben Jahre nach seinem Debutalbum The Golden Age präsentiert Woodkid nun mit S16 sein zweites Album. Die Antwort auf den ungewöhnlichen Titel ist in der Chemie zu suchen: S steht für Schwefel und 16 steht für die Ordnungszahl eben diesen Elements im Periodensystem. Schwefel ist ein essentielles Element für unser Sein, doch es kann ebenso schnell in Flammen aufgehen. Aufgenommen in Londons Abbey Road Studios, aber auch in Berlin, Island, Los Angeles und Paris, stellt sich der Musiker diesmal den ganz grossen Fragen, welche unsere Welt am Leben erhalten...

 ALBUM: DOWNLOAD und STREAMEN

Woodkkid besucht am 22. April 2022 die Halle 622 in Zürich-Oerlikon: Mehr Infos zum Konzert findest Du hier.

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