HINTERGRUND: Die Schweizer Botschaft und ihr Einsatz für die LGBTI+ Community in Vietnam

HINTERGRUND: Die Schweizer Botschaft und ihr Einsatz für die LGBTI+ Community in Vietnam
Erstmals seit 2019 konnte die Pride in Hanoi wieder in voller Grösse stattfinden. Tausende LGBTI+ und ihre Allys liefen dazu durch die Innenstadt von Hanoi um für ihre Rechte einzustehen. Auch die Schweizer Botschaft in Vietnam war mit dabei um sich mit queeren Aktivist:innen zu treffen. gay.ch hat bei Nicole Wyrsch, Chargée d’Affaires ad interim in Vietnam, nachgefragt, wie sie die Pride erlebt hat und wie die Schweiz die LGBTI+ Community vor Ort unterstützen kann.

Workshops, Filmvorführungen, Festivals und natürlich die Pride-Demonstration, der Hanoi Pride Walk: Erstmals seit 2019 und erstmals seit dem Beginn der Covid19-Pandemie konnte die Hanoi Pride Week wieder in vollem Umfang durchgeführt werden. Tausende Queers und ihre Allys nützten den auch die Gelegenheit um am vielfältigen Programm teilzunehmen und um auch ihre Stimme zu erheben und ihre Rechte einzufordern.

Die Botschaft von Grossbritannien trat, wie bereits in den Jahren zuvor, wieder als Hauptsponsor der Pride auf. Bereits vor dem Beginn haben sich zudem die Botschaftsmitarbeitenden von Kanada, Neuseeland, Norwegen und der Schweiz mit LGBTI+ Aktivist:innen getroffen um mit ihnen über ihre aktuelle Situation und über ihre Pläne für die Zukunft zu sprechen. Der schwule, britische Botschafter in Vietnam, Iain Frew, hielt zudem eine Rede vor dem Demonstrationszug.

Für die Schweizer Botschaft in Vietnam war Nicole Wyrsch (Bild), Chargée d’Affaires ad interim, an der Hanoi Pride und am Hanoi Pride Walk mit dabei. Im Interview mit gay.ch erzählt sie von ihren Gesprächen mit LGBTI+ Aktivist:innen vor Ort, davon, wie sie die Zukunft in Bezug auf die Rechte für queere Menschen sieht, und wie die Schweizer Botschaft die Community vor Ort unterstützen kann.

Frau Wyrsch, wie haben Sie die Hanoi Pride Week und die Pride-Demonstration erlebt? Es war ja die erste grosse Pride seit 2019.
Die Stimmung an der Hanoi Pride Week und insbesondere am Hanoi Pride Walk war sehr ausgelassen, und die Freude nach zwei Jahren Pandemie wieder gemeinsam Events durchführen zu können war von allen Seiten spürbar. Positiv hervorzuheben ist ebenfalls die Tatsache, dass man an der Hanoi Pride Week auf Leute trifft, die man ansonsten nicht unbedingt als Mitglied der vietnamesischen LGBTQI+ Gemeinschaft sieht.

Sie haben sich auch mit LGBTI+ Aktivistinnen getroffen: Wie waren die Gespräche?
Wir haben uns als Schweizer Botschaft in Vietnam an mehreren Events der Hanoi Pride Week mitbeteiligt und uns im Rahmen dieser Veranstaltungen sowie auch im Vorfeld mit LGBTQI+ Aktivistinnen ausgetauscht. Ich persönlich nahm auch an einer Diskussion teil, bei welcher es unter anderem darum ging, Erfahrungen aus der Schweiz zu teilen, wobei ich den Weg und neueste Entwicklungen in der Schweiz zugunsten der LGBTQI+ Gemeinschaft aufzeigte.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation und was haben Sie von den Aktivist:innen vor Ort erfahren?
Es handelt sich in Hanoi um eine überschaubare aber äusserst engagierte Community, die ebenfalls sehr aktiv auf die verschiedenen Auslandsvertretungen zugeht, um in Vietnam weiterhin für mehr Rechte der LGBTQI+ Gemeinschaft einzustehen. Ebenfalls aufgefallen ist mir das Alter der Aktivistinnen und Aktivisten; viele waren sehr jung, und ich bewunderte ihren Mut und ihre Anstrengungen. Vietnam gehört eindeutig zu den progressiven Ländern Ostasiens in Bezug auf LGBTQI+ Anliegen.

Ausser Taiwan kennt bislang kein anderes Land in Asien die Ehe für alle - in Thailand könnte es erfreulicherweise bald auch soweit sein. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen in Vietnam?
Das heutige Vietnam ist ein äusserst kontrastreiches Land mit teilweise entgegengesetzten Bestrebungen: Obwohl die vietnamesische Wirtschaft modern und offen sein will, bleibt die Gesellschaft zumindest teilweise noch konservativ. So werden hier die Rechte der Gesellschaft stärker gewichtet als individuelle Rechte. Heirat zum Beispiel geht immer noch stark mit bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen einher - im Sinne, dass vietnamesische Frauen möglichst jung/früh einen Mann heiraten sollen. Die Diskussion und Toleranz gegenüber der LGBTQI+ Gemeinschaft ist umso bemerkenswerter. Wie bei uns, ändern sich die Sichtweisen und Verhalten auch hier.
Derzeit sind keine LGBTQI+-Rechte in Vietnam kodifiziert aber es wurden vermehrt staatliche Zusagen/Enttabuisierungen/Anweisungen bezüglich Nicht-Diskriminierung von LGBTQI+ Menschen erteilt, was als positiv hervorgehoben werden sollte.

Wie können Sie sich einbringen, und wie kann die Schweiz die LGBTI+ Community vor Ort in Vietnam unterstützen?
Die Schweizer Botschaft in Hanoi arbeitet mit gleichgesinnten Botschaften an unterschiedlichen Menschenrechtsthemen. Auch versuchen wir auf nicht-kontroverse Weise die vietnamesische Zivilgesellschaft bei ihren Aktivitäten zu unterstützen, so auch die LGBTQI+ Community. Als Schweizerinnen und Schweizer sind wir von der Wichtigkeit der Meinungsäusserungsfreiheit und der persönlichen Freiheit für Land und Gesellschaft überzeugt: hier ist es anders. Wir haben spannende Gespräche mit unseren vietnamesischen Ansprechpartnern.

Herzlichen Dank für das Interview!

Hanoi Pride / Viet Pride:

Am 5. August 2012 fand in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi die erste Pride des Landes statt. Mittlerweile nehmen jeweils mehrere Tausend LGBTI+ und ihre Unterstützenden an den Pride-Veranstaltungen in Hanoi teil. Vietnam ist zudem auch für seine Velo-Prides bekannt. Inzwischen gibt es in mehr als 35 Städten des Landes jährliche Pride-Veranstaltungen.

Rechtliche Situation für queere Menschen in Vietnam:

Gleichgeschlechtliche Aktivitäten sowohl unter Männern, wie auch unter Frauen wurden im Jahr 2000 offiziell legalisiert, wobei davon ausgegangen wird, dass es auch zuvor nie zu Verurteilungen diesbezüglich kam.

Gesetze, welche gleichgeschlechtliche Ehen verunmöglichten, wurden mittlerweile abgeschafft, doch trotzdem werden queere Paare derzeit weder anerkannt, noch sind ihre Rechte geschützt. Symbolische Eheschliessungen von gleichgeschlechtlichen Paaren sind jedoch erlaubt und werden auch vollzogen. Umfragen zeigen, dass mittlerweile mehr Vietnames:innen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare befürworten als ablehnen - der Anteil jener, welche sich noch keine Meinung dazu gebildet haben, ist jedoch nach wie vor gross.

Seit diesem Jahr gelten Homosexualität und Transidentität offiziell nicht mehr als Krankheit, zudem wurden auch Koversionsmassnahmen verboten.

Foto: Nicole Wyrsch am Hanoi Pride Walk - Credits: Ha Dao