HISTORY: War der Ort des Buckingham Palace früher ein Schwulentreffpunkt?

HISTORY: War der Ort des Buckingham Palace früher ein Schwulentreffpunkt?
Ein Historiker, welcher sich mit der Geschichte Londons befasst, hat in alten Texten eines Politikers Hinweise gefunden, dass es im 17. Jahrhundert im Mulberry Garden Treffpunkte für Sex von Männer mit Männern gab, möglicherweise sogar Bordelle für schwulen Sex. Das besondere daran: Der Mulberry Garden von damals befindet sich heute an der nordwestlichen Ecke der Londoner Residenz der Queen.

Im 17. Jahrhundert war schwuler Sex in England mehr oder weniger offen akzeptiert, und homo- oder bisexuell zu sein war nicht wirklich aussergewöhnlich. Zahlreiche Prominente lebten ihre sexuellen Neigungen auch ziemlich offen aus und viele Schriftsteller brachten ihre gleichgeschlechtlichen Erfahrungen auch zu Papier, wie etwa der zweite Graf von Rochester, John Wilmot. Er sprach dabei unter anderem von sogenannten Linkboys. Dies waren vor allem junge Männer, welche eine Fackel trugen und so in der Nacht Passanten begleiteten, um ihnen den Weg zu leuchten. Im Fall von Wilmot waren sie Grund für wilde Fantasien, und sein Stück Sodom, or The Quintessence of Debauchery aus dem Jahr 1684 wurde gar das erste literarische Werk in England, welches durch die Regierung auf Basis von Obszönitäten und Pornografie zensuriert wurde, dabei vor allem aufgrund von sehr deutlichen, homosexuellen Handlungen.

Norton Rictors, ein Historiker für LGBTI+ Geschichte, hat sich genauer mit dieser Zeit befasst und veröffentlichte dazu ein Buch mit dem Titel The Gay Subculture in Early Eighteenth-Century London. Dabei stiess er während seiner Recherche unter anderem auch auf Schilderungen von Clement Walker, einem englischen Politiker, der sich in Anarchia Anglicana darauf bezieht, dass Mulberry Garden in St. James zu einem Treffpunkt von Männern wurde, welche Sex mit Männern haben. Dabei benutzte er den Begriff Sodom, welcher damals für jede Art von Bordellen benutzt wurde. Doch in seinen Schriften nutzt er in diesem Zusammenhang auch das Wort Spintries, welches damals explizit männliche, schwule Sexarbeiter oder gleichgeschlechtliche Handlungen beschrieb.

Gleichgeschlechtiger Sex war damals vor allem Vergnügen und weniger Geldquelle in Form von Sexarbeit. Aus diesem Grund ist es zwar eher unwahrscheinlich, dass es sich im Mulberry Park tatsächlich um schwule Bordelle gehandelt hat, doch vielmehr dürfte es ein Ort gewesen sein, wo sich Schwule für Sex getroffen haben. Da gewisse Politiker darüber aber enorm empört waren, dürften sie diese Lokale mit ihrer Wortwahl in die Nähe von Sexarbeit gerückt und dazu auch Begriffe benutzt haben, mit welcher auch Prostitution beschrieben wurde.

Dies hängt auch damit zusammen, dass das Vokabular für queere Ausdrücke damals im 17. Jahrhundert nur minimal vorhanden war. So wurden etwa auch Worte wie He-Strumpets und He-Whores benutzt, welche damals auch für gewöhnliche, schwule Männer verwendet wurden, welche aber niemals Geld für sexuelle Kontakte genommen hätten.

Dies macht es Historiker:innen aus heutiger Sicht sehr schwer, die Texte von Berichterstattern und Zeitzeugen genau zu deuten und übersetzen. Zahlreiche Männer wurden in dieser Zeit auch quasi in flagranti durch die Polizei erwischt. Gerichtsakten von damals legen dabei aber nahe, dass es sich vielmehr um einvernehmlichen, schwulen Sex gehandelt hat, als um sexuelle Dienstleistungen gegen Geld.

Ab den 1650er Jahren wechselte der Mulberry Garden seinen Besitzer und wurde in einen Lustgarten umgewandelt. Die Männer, welche ausschau nach schwulem Sex hielten, wurden damit vertrieben und der Jetset des 17. Jahrhunderts nahm den mondänen Park in Beschlag. Mulberry Garden wurde damit quasi zum Place to be um zu sehen und gesehen zu werden. Es war schliesslich 1677 als der Park erneut einen Wandel durchmachte und fortan zu jenem Gebäude dazugehörte, an dessen Ort seit 1837 der Buckingham Palace, die offizielle Wohnadresse der britischen Könige und Königinnen ist. Daneben erhielten ab 1700 auch die Reformer mehr Macht und begannen moralische Werte mit ins Spiel zu bringen, was zur Folge hatte, dass auch Homosexuelle immer mehr verfolgt wurden.

Ganz ursprünglich war dem Mulberry Garden aber ein anderer Zweck zugedacht: Anfangs des 17. Jahrhunderts war Europa im Seiden-Fieber - besonders Frankreich und Italien waren führend in der Seidenproduktion. Auch der damalige englische König James hatte grosse Pläne und wollte in London Seidenraupen züchten. Er hat mehrere Gärten mit Maulbeerbäumen, eben Mulberry, bepflanzt und ermutigte andere, es ihm gleichzutun. Leider wurde er aber schlecht beraten, und er liess schwarze Maulbeerbäume pflanzen, statt der weissen, welche die Seidenraupen mögen und mit welchen sie verwertbare Seide produzieren. Aus diesem Grund waren seine Pläne für eine eigene Seidenproduktion gescheitert, da die Seidenraupen nicht verarbeitbare Seide lieferten. Die Umgebung wurde darauf in den 1640er Jahren durch das Militär benutzt, und der Garten wurde vernachlässigt. Dies war dann der Zeitpunkt als der Park zum Treffpunkt für schwulen Sex wurde.

Der ehemalige Mulberry Garden befindet sich heute hinter den dicken Palastmauern, welche den Garten des Buckingham Palace umgeben. Er befand sich an der nordwestlichen Ecke des Parks bei Constitution Hill und quasi schräg gegenüber des Hide Park Corners.