DEUTSCHLAND: Interview - Schwules Paar nimmt Flüchtlinge auf

DEUTSCHLAND: Interview - Schwules Paar nimmt Flüchtlinge auf
Dirk und Mario wollten nicht mehr länger nur zusehen: Das schwule Paar aus Berlin wollte helfen und hat bei sich zu Hause seit Juli bereits 24 Flüchtlinge aufgenommen. Ihre Erfahrungen mit den neuen Mitbewohnern, welche allesamt aus einem Kulturkreis kommen, in welchem Homosexualität unter Strafe steht, haben die Beiden im Interview mit gay.ch geteilt...

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble spricht im Interview nicht mehr von einem Flüchtlingsstrom, sondern von einer Lawine, und gewisse Parteien hierzulande sprechen seit Monaten unaufhörlich vom Asylchaos. Es wird zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und „echten“ Flüchtlingen unterschieden, Zäune werden am Laufmeter hochgezogen und das Dublin-Abkommen wird mal ausgesetzt und dann doch wieder angewandt. Während ein Krisengipfel den anderen jagte, um den griechischen Finanzplatz zu retten, so zeigt sich Europa in der Flüchtlingsfrage doch eher hilflos und unentschlossen. Fakt ist, Tausende von Menschen sind gekommen, kommen gerade jetzt und werden noch kommen.

Dirk, 39, und Mario, 44, haben sich entschieden, dass sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln helfen wollen. Die Beiden sind seit zehn Jahren ein Paar und seit dem Juli dieses Jahres haben sie in ihrer gemeinsamen Wohnung in Berlin bereits 24 Asylsuchende aufgenommen – und sie bereuen es nicht. Sie leben vielleicht intensiver als je zuvor, erklärt Dirk Voltz, und dieser Sommer und dieser Herbst werde ihr Leben verändern. Obwohl sie schwul sind, würden ihnen die muslimischen Migranten offen und äusserst dankbar begegnen. Und so überrascht es auch kaum, dass sie heute noch Kontakt zu den Asylsuchenden pflegen. Gerade am Tag des Interviews, bekamen sie Besuch von vier ehemaligen Mitbewohnern – oder eben Freunden, wie sie sie heute nennen.

Im Interview mit gay.ch gibt Dirk einen Einblick in seinen Alltag mit den Flüchtlingen. Er spricht von den Hindernissen, von schönen Erlebnissen, zeigt aber auch auf, dass Hilfe auch für ihn Grenzen haben kann.

gay.ch: Was hat euch dazu bewegt, 24 Flüchtlinge aufzunehmen und was habt ihr erwartet, was auf euch zukommt?
Dirk: In Berlin gibt es viele Helfer, die sich über verschiedene Gruppen auf Facebook organisieren. Einige davon konzentrieren sich darauf, Menschen von der Straße in private Unterkünfte zu vermitteln. Mario und ich haben die Bilder der teils unmenschlichen Bedingungen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales gesehen und beschlossen, dass wir hier helfen wollen. Ich hatte anfangs in einer Notunterkunft lediglich Kleidung sortiert und ausgegeben. Irgendwann wurde über die Sozialen Medien eine Unterkunft für vier Personen gesucht und wir haben uns gemeldet. So fing alles an. Allerdings hatten wir zu keinem Zeitpunkt 24 Personen gleichzeitig bei uns. Die meisten Leute blieben nur ein, zwei Nächte, damit sie nicht auf der Straße schlafen mussten. Wir hatten aber auch Gäste, die blieben zwei, drei Wochen.
Wir wussten anfangs nicht wirklich, was da auf uns zu kommt. Wir hatten hier und da mit Schwierigkeiten aufgrund der kulturellen Unterschiede gerechnet, wurden aber schnell eines Besseren belehrt. Die Offenheit und Herzlichkeit, mit der man uns durchweg begegnet ist, hatten wir allerdings ganz sicher nicht erwartet.

Wer ist schlussendlich bei euch eingezogen? Familien? Jugendliche?
Unsere Gäste waren ausschließlich Männer unter 30 Jahren. Das liegt sicherlich auch daran, dass diese Personengruppe den größten Anteil unter den Geflüchteten ausmacht.

Wie sieht euer Alltag aus? Wie könnt ihr euren Mitbewohnern unter die Arme greifen, um sie in Deutschland zu unterstützen, gerade auch wenn man bedenkt, was diese Menschen schon alles durchmachen mussten...
Wir versuchen, die Menschen so gut es geht bei ihrer Integration zu unterstützen. Dazu gehört, dass wir Sprachschulen mit freien Plätzen finden. Oder wir füllen Anträge - beispielsweise für das Jobcenter - aus. Die Bürokratie stellt meiner Ansicht nach eine der größten Hürden auf dem Weg zu einer gelungenen Integration dar. Es dauert alles einfach viel zu lange, Unterlagen sind selbst für Akademiker wie mich schwer zu verstehen. Es gibt aber auch ganz banale Dinge, die notwendig sind. Erklär mal jemandem, der weder deutsch noch englisch spricht, wie die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin zu nutzen sind. Das ist gar nicht so einfach.

Mit den Mitbewohnern unter einem Dach erlebt ihr tagtäglich sehr viel: Welches ist das schönste Erlebnis, welches ihr in den vergangenen Monaten erlebt habt?
Es sind die vielen kleinen Dinge, die so bemerkenswert sind. Sehr berührend war beispielsweise ein Telefonat via Skype mit der Mutter eines Gastes. Die Mama hat das ganze Telefonat über nur geweint und konnte nicht aufhören, sich bei uns zu bedanken. Ein anderes Beispiel: Ein junger Palästinenser aus Damaskus hat sich zwei Tage lang nicht getraut, ein Handtuch von uns zu benutzen. Also hat er solange im Bad gewartet, bis er getrocknet war. Er wollte uns einfach nicht zur Last fallen. Wir haben das erst nicht bemerkt, später waren wir beschämt aufgrund seiner Bescheidenheit. Solche Situationen sind emotional auch sehr belastend.

Homosexualität ist in den meisten Herkunftsländern der Flüchtlinge ein Tabu, wenn nicht gar verboten und mit hohen Strafen belegt: Wie waren die Reaktionen der Flüchtlinge euch gegenüber? Seit ihr von Anfang an offen gewesen, oder habt ihr erst abgewartet?
Wir hatten Gäste aus Afghanistan, dem Irak und aus Syrien. In diesen Ländern steht Homosexualität tatsächlich unter Strafe. Aber auch hier gibt es Unterschiede. In Damaskus beispielsweise wird trotz Verbot kaum strafrechtlich verfolgt. Dort gibt es offiziell zwar keine queere Community, dennoch hatten die meisten jungen Männer, die wir von dort kennen gelernt haben, schon vorher Berührungspunkte zu Homosexuellen. Anders sieht es natürlich aus, wenn jemand aus einem kleinen Bergdorf am Hindukusch zu uns kommt. Einmal wurden wir gefragt, was der Unterschied zwischen Transsexualität und Homosexualität sei. Im ersten Moment dachten wir naiver weise, der Bursche veräppelt uns. Die Frage war aber durchaus ernst gemeint. Der junge Mann war an unserer Art zu leben sehr interessiert.  Übrigens hatten wir zeitweise auch eine transsexuelle Frau aus Bagdad und einen schwulen Mann aus Damaskus hier beherbergt. Bevor wir jemanden aufnehmen stellen wir klar, dass wir als schwules Paar zusammen leben und auch das Bett miteinander teilen. Dann kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er bei uns übernachten möchte oder nicht. Bislang hat erst einmal jemand dankend unser Angebot abgelehnt. Er musste dann leider im Park übernachten…

Ihr habt euren Worten Taten folgen lassen: Wie beurteilt ihr das Engagement der Politik in dieser Frage, und die Arbeit der Medien?
Wir sind enttäuscht von der Flüchtlings-Politik einiger europäischer Länder. Beschämend ist doch, dass sich viele Menschen in Polen, in Ungarn oder auch in der Schweiz grundsätzlich gegen die Aufnahme von hilfesuchenden Menschen in einer annehmbaren Menge aussprechen. Es kann und darf nicht sein, dass Solidarität nur in guten Zeiten stattfindet. Wenn sich hier in einigen Staaten nicht schnell etwas ändert, dann ist der europäische Gedanke obsolet.

Das vollständige Interview findest Du in der Dezember/Januar-Ausgabe "Post" des gay.ch Magazins...