SCHWEIZ: Zahlreiche Online-Buchhändler verkaufen Conversion Therapie-Bücher

SCHWEIZ: Zahlreiche Online-Buchhändler verkaufen Conversion Therapie-Bücher
Sie heissen unter anderem "Eltern-Ratgeber um Homosexualität zu verhindern" oder "Homosexualität heilen", und sie sind in zahlreichen Online-Shops hierzulande zu bestellen. gay.ch hat einige der grössten Schweizer Buchhändler angeschrieben und um eine entsprechende Stellungnahme gebeten um zu erfahren, ob sie sich der Problematik dieser Bücher gerade in Bezug auf LGBTI+ Jugendliche bewusst sind, und ob sie die Titel allenfalls aus dem Sortiment nehmen würden. Während im Ausland gewisse Händler bereits reagiert haben, scheint es hierzulande noch ein weiter Weg zu sein...

In den USA hat Amazon einen ersten Schritt gemacht, und Bücher aus dem Sortiment genommen, welche Conversion Therapien promoten. Diese Therapieformen zur sogenannten "Heilung" von Homosexuellen und Transgender sind erwiesenermassen äusserst schädlich, besonders für Jugendliche, und sie sind bereits in zahlreichen Ländern und US-Bundesstaaten verboten. In der Schweiz scheint es allerdings noch ein weiter Weg bis die Online-Buchhändler auch hier reagieren und die Bücher aus dem Sortiment nehmen. Von gay.ch auf die Problematik hingewiesen, sahen die meisten Händler keinen Handlungsbedarf - bis auf einen.

"Titel wurden aus dem Onlineshop entfernt"
Fred Stähli, Sortimentsleiter und Verantwortlicher für den Zentraleinkauf bei Buchhaus.ch, reagierte umgehend, und erklärte, dass er sich der Problematik dieser Bücher nicht bewusst gewesen sei. Die von gay.ch genannten Titel werden ab sofort nicht mehr im Onlineshop erscheinen. Hinter der Webseite buchhaus.ch stehen unter anderem die Buchhandlungen Lüthy, Schoch, Balmer und Stocker in diversen, deutschschweizer Städten. Wie Fred Stähli gegenüber gay.ch weiter versichert, hätten bei ihnen noch absolut keine Verkäufe der von uns genannten Titel stattgefunden.

"Beitrag zur kulturellen Vielfalt leisten"
Anders reagierte hingegen Ex Libris: Der Schweizer Mediendiscounter ist eine Tochter der Migros und bietet nach eigenen Angaben rund 10 Millionen physische und 11 Millionen digitale Medienangebote an. Wie Marie-Christine Schindler, Medienverantwortliche von Ex Libris, gegenüber gay.ch erklärt, leiste man einen Beitrag zur kulturellen Vielfalt, sowie zur Meinungs- und Informationsfreiheit. Es gebe immer wieder Werke und Themen, die auf Kritik stossen. Persönliche oder von Dritten besonders akzentuiert vertretene Meinungen und Präferenzen können nicht die Grundlage für die Aufnahme oder den Ausschluss von Büchern sein, so Schindler weiter. Treibende Kraft hinter dem Voll-Sortiment sei der Auftrag der kulturellen Vielfalt im Rahmen der Gesetzgebung und nicht der Umsatz. Ex Libris orientiere sich an der Rechtsprechung. Liege kein Urteil vor, welches den Verkauf eines Werkes im Handel verbiete, fehle die Grundlage, um es aus dem Sortiment zu nehmen. Man mute es sich zudem nicht zu, als Zensurstelle zu erscheinen, ergänzt sie, doch man würde allerdings eine umfassende Gesetzgebung begrüssen. Dazu gehöre im Minimum eine Alters-Kategorie, wie sie bei Filmen und/oder Games bereits eingeführt wurde.

"Beitrag zur Meinungs- und Informationsfreiheit"
Ähnlich argumentiert auch die Orell Füssli Thalia AG. Man sei sich durchaus bewusst, dass bestimmte Bücher aufgrund des Inhalts sehr umstritten seien, erklärt Alfredo Schilirò von der Pressestelle gegenüber gay.ch. Man nehme jedoch keine Zensur vor und schliesse Bücher aufgrund ihres Inhalts auch nicht aus dem Sortiment aus. Ausgenommen seien natürlich durch Gerichte verbotene Bücher und Medien, welche wegen rassistischer, menschenverachtender oder gewaltverherrlichender Inhalte auf dem Index der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften geführt seien. Man leiste mit dem breiten Sortiment auch einen Beitrag zur kulturellen und inhaltlichen Vielfalt, sowie zur Meinungs- und Informationsfreiheit, und das wolle man auch in Zukunft mit aller Sorgfalt tun, so Schilirò weiter. Aus diesem Grund sei bei ihnen generell jedes lieferbare Buch - sofern legal - erhältlich, was aber nicht bedeute, dass man als Unternehmen und Händler jedes erhältliche Buch inhaltlich befürworte. Über die Absatzzahlen zu den umstrittenen Bücher wollte die Orell Füssli Thalia AG keine Auskünfte geben.

Bei mybooks.ch schob man die Verantwortung auf das Buchzentrum ab. Wie bei vielen weiteren Buchhandlungen würde ihre Webseite auf die Datenbank des Buchzentrums zugreifen und man könne keine Bücher von der eigenen Webseite nehmen, solange diese noch beim Buchzentrum gespeichert seien, erklärt Kim Stettler.

"Wir sehen uns nicht als Zensurinstanz"
Beim Buchzentrum, dem grösster Schweizer Zwischenbuchhändler, erklärt uns die Kommunikationsverantwortliche Nicole Gisi, dass man sich der Problematik der angesprochenen Titel bewusst sei. Gleichzeitig stehe man aus Überzeugung zum Prinzip der Meinungsfreiheit und man sehe sich nicht als Zensurinstanz für umstrittene Werke. Erhältliche Titel, die nicht gesetzlich verboten sind, aber umstrittenes Gedankengut beinhalten, seien in ihrem Katalog aufgeführt und es bleibe dem einzelnen Widerverkäufer (Buch- und Fachhandel) überlassen, ob sie diese aus ihren eigenen Online-Webshops entfernen, sie aktiv oder nur auf Bestellung anbieten. Durch Schweizer Gerichtsbeschlüsse verbotene Titel sowie Bücher und Medien, die wegen diskriminierender, rassistischer, menschenverachtender oder gewaltverherrlichender Inhalte auf dem Index der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjM) geführt seien, biete das Buchzentrum nicht an. Man kontrolliere dies laufend und entferne die entsprechenden Titel umgehend aus dem Katalog. Dadurch seien sie auch nicht mehr in den Online-Shops ihrer Kundinnen und Kunden gelistet, wenn diese die Titeldaten von ihnen beziehen. Sollten Conversion Therapien und die entsprechenden Bücher in der Schweiz gesetzlich verboten werden, werden diese Titel auch aus dem Datenkatalog entfernen, erklärt Nicole Gisi weiter. Von den von gay.ch genannten Autoren und Autorinnen würden sich keine Bücher am Lager des Buchzentrums befinden, sondern man beziehe diese bei Kundenbestellungen direkt über den Barsortimenter in Deutschland oder allenfalls direkt beim jeweiligen Verlag. Man gebe zwar keine konkreten Verkaufszahlen bekannt, sie könne jedoch bestätigen, dass sie noch kein einziges Buch von Joseph Nicolosi ausgeliefert haben, so Gisi weiter. Auch von den anderen, von gay.ch genannten Autoren und Autorinnen bestehe keine grosse Nachfrage und es seien in den vergangenen drei Jahren keine entsprechenden Titel über das Buchzentrum verkauft worden.

Weltbild wiederum hat nur wenige Bücher über die umstrittene Conversion Therapien im Sortiment und keinen einzigen Titel des äusserst umstrittenen Joseph Nicolosi. Dies ist überraschend wegen der Verbindung des Online-Portals zur katholischen Kirche. Vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV hat gay.ch zudem keine Antwort erhalten. Bei Amazon hat gay.ch zudem nicht nachgefragt, da die Schweizer Webseite direkt nach Deutschland weitergeleitet wird. Anders als in den USA, sind bei Amazon Deutschland aber zahlreiche Bücher, welche Conversion Therapien promoten, erhältlich.

Die umstrittenen Bücher
Bei den von gay.ch angeprangerten Büchern handelt es sich unter anderem um die Werke des äusserst umstrittenen und 2017 verstorbenen Autoren Joseph Nicolosi. Er veröffentlichte Bücher mit den Titeln "A Parent’s Guide to Preventing Homosexuality" (Eltern-Ratgeber um Homosexualität zu verhindern), "Healing Homosexuality" (Homosexualität heilen) oder "Reparative Therapy of Male Homosexuality" (Reparativtherapie bei männlicher Homosexualität). Andere Bücher, auf welche wir die Online-Buchhändler angesprochen haben, sind beispielsweise Mario Bergners "Setting Love in Order" (Die Liebe in Ordnung bringen), Jörg Recknagels "Leben in Freiheit: Mein Weg aus der Homosexualität" oder auch gewisse Bücher von Leanne Payne ("Homosexualität heilen") und Richard Cohen. gay.ch ist sich dabei durchaus bewusst, dass es sich bei den genannten Titeln nur um einen Bruchteil jener umstrittenen Bücher handelt, welche in der Schweiz über die Online-Buchhändler frei bezogen werden können.

Homophobie ist offenbar noch immer okay
Für gay.ch ist es stossend, dass viele Händler darauf aufmerksam machen, dass sie einen Beitrag zur kulturellen Vielfalt, sowie zur Meinungs- und Informationsfreiheit liefern wollen, und dabei selbst LGBTI+ feindliche und jugendgefährende Inhalte in Kauf nehmen und dulden. Dies zeigt deutlich, dass das Kriterium der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität ebenfalls in die Anti-Rassismusstrafnorm aufgenommen werden muss, und dass es auch ein Verbot von Conversion Therapien braucht, so dass es eine gesetzliche Handhabe gibt um solche Bücher, gleich wie jene mit rassistischen Inhalten, hierzulande aus dem Verkauf zu ziehen.

Brauchst Du Hilfe und möchtest Du mit jemandem sprechen? Die Schweizer LGBT+ Helpline steht Dir unter der Nummer 0800 133 133 kostenlos währned 24 Stunden und sieben Tagen die Woche zur Verfügung. Mehr Infos: lgbt-helpline.ch.