Unmasked: "Ich habe echt keine Ahnung, wie es sein wird, erstmals wieder auf einer Bühne zu stehen."
Zuerst mit einer einfachen, aber aktuell sehr wichtigen Frage: Wie geht es Dir?
Mir gehts gut. Mein Energielevel hat sich langsam etwas besser auf die Zeit in Quarantäne eingestellt, denn es fiel mir in letzter Zeit nicht leicht, bei der Arbeit, oder in der Freizeit zufrieden zu sein. Es sind beängstigende Zeiten, und alles mit diesem chaotischen Unterton.
Wie bist Du von Corona betroffen, und wie gehst Du mit der aktuellen Situation um?
Einerseits trainiere ich viel, trödle gleichzeitig aber auch viel herum. Ich gebe mich derzeit den Ups and Downs hin. Jeder ermunternde Spaziergang mit meinem Hund wird mit einem Glas voll Peanut Butter und einem Löffel im Dunkeln ausgeglichen. Alles wird nun für eine Weile chaotisch sein, doch das ist auch in Ordnung.
Am 15. Mai erschien dein neues Album: Wie waren die Vorbereitungen dafür, und die Promotion nun, wenn Du es mit früheren Alben vergleichst?
Das Artwork, die Videos, die Pressefotos, all dies wollte ich eigentlich live mit der Musik machen. Ich habe eine klare Vision davon, wie die Welt dieser Songs ausschaut, und ich finde es erfüllend, wenn ich dies durchblicke. Die Quarantäne hat nun viele dieser Pläne geändert oder verschoben, doch schlussendlch muss ich so das Haus nun nicht verlassen um meine Musik zu teilen. Das ist das wichtigste, und ich kann sie trotzdem unter die Leute bringen.
Bei diesem Album spielen Themen wie Liebe, Sex, Erinnerungen und die Männlichkeit eine wichtige Rolle. Dies sind alles Themen, welche in den vergangenen Monaten und Jahren mehr an Gewicht gewonnen haben, insbesondere in diesen schrägen, politischen Zeiten, in denen wir derzeit leben. Ist es ein Zufalls, dass Du diese Themen ausgesucht hast?
In den vergangenen anderhalb Jahren wurde mir klar, dass ich ein Teil einer realen Welt sein will. Ich verbrachte früher einen grossen Teil meines Lebens damit, distanziert zu sein und davon zu träumen, irgendwo anders oder irgendetwas anderes zu sein. Nun versuche ich mehr Verbindungen im Hier und Jetzt zu pflegen. Ich möchte in meinem wahren Körper sein, ich möchte mit Menschen zusammen sein und damit ein Gemeinschaftsgefühl erleben und den Ort selber spüren.
Wenn man die Beschreibung zu deinem Videoclip "Describe" liest, dann klingt das wie die derzeitige Medienberichterstattung: Hattest Du irgendeine Vorahnung?
Amerika war schon von Anfang an ein Drecksloch, doch in letzter Zeit wurde dies auf dreiste Weise noch verschärft. Ich habe versucht eine Gruppe von Leute, die ich liebe, zusammen zu kriegen, und mit ihnen für eine Weile abzutauchen - einfach um unsere eigene Welt zu erschaffen. Es ist aber auch ein problematischer Traum um ihn zu realisieren, denn man lässt dabei immer Leute zurück, die sich den Luxus nicht leisten können, um einfach abzuhauen. Ich kann diesen Traum aber nicht ganz loslassen. Ich sehne mich derzeit, wo ich drinnen gefangen bin, sogar noch mehr danach, nach diesen offenen Räumen in denen alle tanzen und andere Dinge miteinander unternehmen.
Aktuell kannst Du auch nicht Live auf der Bühne vor grossem Publikum auftreten, und Du musstest alle Konzerte verschieben: Wie wird es für Dich sein, nach so langer Zeit des Social Distancing, endlich wieder mal vor so vielen Leuten aufzutreten?
Ich habe echt keine Ahnung. Schon jetzt, wenn ich nur einen Film schaue und mir Leute zu nahe bekomme, brülle ich sie an. Die Idee, Abstand zu halten, habe ich schon derart verinnerlicht. Ich denke, dass sich dann aber jeder nach Befreiung und Kontakt sehnen wird, doch gleichzeitig fühle ich mich bei dem Gedanken auch beängstigt und unwohl.
An deiner Schule warst Du damals der einzig offen schwule Schüler, und Du hast auch schon von den Herausforderungen gesprochen, welche damit verbunden waren. Wie ergeht es Dir heute, wenn Du die Rückschritte erlebst, welche die LGBTI+ Community derzeit unter der Regierung Trump erlebt?
Das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Community ist durch die aktuelle Regierung gestärkt worden. Mehr Menschen denn je setzen sich nun für andere ein, nutzen ihre Zeit und Energie dafür, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und für die gleichen Rechte zu kämpfen. Das bedeutet natürlich nicht unbedingt, dass die Welt auch tatsächlich besser wird, aber wenigstens kümmern wir uns umeinander und schützen uns so gut wie möglich, während alles langsam den Bach runter geht...
Über Perfume Genius:
Mit 15 wagte er sein Coming out an seiner Schule in Seattle, doch die Folgen waren damals fatal: Er wurde bespuckt, beschimpft und er erhielt sogar Morddrohungen. Gleichzeitig liessen sich seine Eltern scheiden, und seine Mutter verfiel dem Alkohol. Als er mit 17 auch noch von mehreren jungen Männern überfallen wurde und darauf ins Krankenhaus musste, kehrte Mike Hareas Seattle den Rücken und ging nach Williamsburg in New York. Doch sein Leben blieb in dieser Abwärtsspirale hängen und er begann Drogen zu nehmen. Seine Mutter drängte ihn darauf, zurück nach Seattle zu ziehen um dort einen Entzug zu beginnen.
Als er die Therapie erfolgreich beenden konnte, begann er ab 2008 seine musikalische Karriere aufzubauen. Er spielte Klavier und über sein Myspace-Profil wurde schlussendlich eine Plattenfirma auf ihn aufmerksam. 2010 erschien, nun unter seinem Künstlernamen Perfume Genius, mit Learning sein Debütalbum. Mit Set My Heart On Fire Immediatly hat er nun sein bereits fünftes Album veröffentlicht.
Mike Hareas lebt heute zusammen mit seinem Partner Alan Wyffels, einem Pianisten, noch immer in Seattle..