Unmasked: "Die Regierung muss endlich den Pflegenotstand anerkennen."
Kannst Du dich kurz vorstellen:
Mein Name ist Marco Uhlig, ich bin geborener Berliner und wohne seit 20 Jahren in meiner zweiten Heimat Zürich. Ich fühle mich sehr wohl hier und kann mir nicht mehr vorstellen wieder zurück nach Deutschland zu gehen. Dafür sind meine Wurzeln hier viel zu verankert und ich lebe sehr gerne hier. Ich bin als Pfleger in die Schweiz gekommen und habe 2006 auch mein Diplom als Experte für Intensivpflege am Unispital Zürich gemacht. 2013 machte ich dann mein geliebtes Hobby Partys zu veranstalten (Boyahkasha) zu meinem Beruf und wurde Chef vom Heaven. Nach dem Opening vom Club habe ich weiterhin mit einem 10% Arbeitspensum auf der Intensivstation in der Klinik Hirslanden gearbeitet. Ich wollte den Pflegejob, den ich immer mit sehr viel Herz und Freude gemacht habe, nicht ganz an den Nagel hängen und à jour bleiben. Zusätzlich gab es schon damals einen Notstand in der Pflege, der jetzt erst wegen dem Corona-Virus so richtig thematisiert wird. Deshalb hatte ich mich bereit erklärt auch zusätzlich auf Abruf einzuspringen, ausser an den Tagen, wo das Heaven geöffnet war. So konnte ich auch einen Fuss in der Tür behalten, falls sich die Zeiten im Nightlife mal ändern sollten. Wie sich jetzt herausstellt, war das eine sehr gute Entscheidung. Denn das Pflegepersonal war schon ohne Corona-Krise an vielen Orten sehr knapp und nun wird Hilfe dringend gebraucht und ich kann sofort überall helfen, wo es mich braucht.
Wie bist Du von der aktuellen Lage selber betroffen? Wie gehst Du damit um?
Mein Club ist seit dem 13. März vom bundesrätlichen Veranstaltungsverbot betroffen und geschlossen. Ich kämpfe zurzeit für mein Personal und für meine DJs, damit sie alle Kurzarbeit beziehen können. Die Regeln der Arbeitslosenkasse sind aber leider sehr streng und kaum jemand in der Gastronomie kann momentan von den vom Bundesrat als schnell und unproblematisch angekündigten Kurzarbeitsentschädigungen profitieren. Alle Angestellten und die Gastrofirmen zahlen zwar ALV, aber sie fallen zu 80 bis 90% raus und erhalten keine Kurzarbeit nach dem heutigen Stand. Die Bar und Clubkommission Zürich und Gastro Suisse sind daran, die Behörden auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und bessere Bedingungen auszuhandeln. Ich selbst bin auch im Vorstand der BCK, kann wegen meinem Job im Spital aber leider nicht allzu viel helfen, wie ich es gerne tun würde. Wir haben aber mit Alex Bücheli einen sehr professionellen Geschäftsführer in der Kommission, auf den ich all meine Hoffnung setze. Denn viele unserer Mitarbeiter leben von ihrem Heavenlohn und stehen nun vor einer äussert ungewissen Zukunft, wenn die Kurzarbeit bei ihnen nicht greift. Das macht mir sehr zu schaffen, da auch wir als Firma nicht ewig Ausgaben wie den Lohn der Angestellten ohne Einnahmen tätigen können. Daher habe ich auch einen Liquiditätsplan erstellt und einen Plan wie wir das Heaven vor dem endgültigen Aus bewahren können. Das sind wahnsinnig viele Telefonate, Emails, Anträge etc. und ganz viel Goodwill von unseren Partnern, wenn es um Zahlungskonditionen geht. Einige haben uns sogar Rechnungen erlassen, da es ihnen besser geht als uns. Als Einziger ist leider unser Vermieter nicht bereit, uns beim Mietzins mit einer Reduktion entgegen zu kommen. Das fällt schwer ins Gewicht, da es die höchste monatliche Ausgabe ist. Insgesamt ist alles eine extreme Belastung mit einer unklaren Prognose wie es ausgehen wird. Natürlich unterstützen und befürworten wird die Regeln der Regierung gegen die Ansteckungswelle. Die Welle muss unbedingt abgeflacht werden und wir müssen uns so langsam damit auseinandersetzen auch unschöne Entscheidungen zu treffen um Ausgaben zu senken. Als Geschäftsführer bin ich grad sehr gefordert und ich versuche den schwierigen Spagat zwischen Clubrettung, Mitarbeiterfürsorge und helfen im Spital. Bei mir privat gibt es keine Tage mit Binge Watching oder gar Langeweile. Ich bin aber auch froh darum, denn ich kann nicht lange ruhig sitzen und nichts tun.
Du hast Dich freiwillig gemeldet, im Uni-Spital auszuhelfen: Was hat Dich zu dieser Entscheidung bewogen?
Nachdem wir Mitte März das Heaven stillgelegt und quasi „gegroundet" haben, wusste ich sofort, ich will ins Spital helfen gehen. Sie sind eh schon immer überall schlecht besetzt in den Spitälern und nun kommt diese Welle. Mein Pflegerherz kann da nicht wegschauen. Ich weiss, wie anstrengend der Spitalalltag mit der dauerhaften Unterbesetzung auch nur schon ohne Corona ist. Ich habe sofort einer meiner Ex-Arbeitskolleginnen vom Unispital geschrieben, ob sie Leute suchen und auch in meiner Klinik angerufen. Es ging alles ganz schnell und professionell. Nun bin ich wieder an dem Ort wo alles für mich angefangen hat. Das Unispital ist sehr gut vorbereitet und ich bin mega froh meinen Teil leisten zu können. Denn um dieser Situation Herr zu werden, braucht es die Hilfe von Allen. Nur gemeinsam kommen wir dagegen an. Das ist so wichtig zu erkennen und umzusetzen. Ich hoffe, mein Schritt findet Nachahmer und die Leute an der Front bekommen noch mehr Hilfe. Ein wichtiger Link für Pflegende wäre dieser: Link
Wie kannst Du vor Ort helfen? Wie erlebst Du die Situation dort?
Ich war 14 Jahre nicht mehr dort, aber manche Dinge verlernt man ja nie. Viele vom damaligen Team schaffen noch auf der Intensivstation und für mich ist es, als sei erst vor wenigen Monaten mein letzter Arbeitstag dort gewesen. Ich spüre, das ich etwas vermisst habe. Die Zusammenarbeit macht sehr viel Spass und alle sind mega dankbar. Das macht das Schaffen natürlich super angenehm, trotz der stressigen und schwierigen Situation. Nicht zu wissen was da noch kommt, ist wohl aber das was am meisten zehrt. Die Situation ändert sich täglich und ich konzentriere mich erstmal darauf, dem bestehenden Pflegeteam so viel wie möglich unter die Arme zu greifen. Es gibt kein Chaos, keine Panik und alles ist richtig gut vorbereitet. Ich bin äusserst positiv gestimmt, das wir das schaffen werden.
Was wünscht Du Dir von uns allen und was möchtest Du uns mit auf den Weg geben?
Ich finde sehr gut, was einer der leitenden Intensivmediziner vom USZ letztens im TV-Interview gesagt hat. Er hat die ältere Bevölkerung, sowie Menschen mit schweren Vorerkrankungen darum gebeten, eine Patientenverfügung zu erstellen. So weiss man dann im Notfall, was und wieviel man machen soll, wenn diese Menschen intensivpflichtig, respektive beatmungspflichtig werden. Aus Sicht der Spitäler gibt es leider viel zu wenige Menschen mit einer Patientenverfügung. Was aber auch sehr wünschenswert wäre ist, das unsere Regierung endlich den Pflegenotstand erkennt und Massnahmen ergreift. Denn nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Sie hatten lange genug Zeit und man erkennt schon jetzt, das die Sparmassnahmen und das „zu wenig tun" vom Bund und Kanton zu prekären Situationen führt. Wir wollen uns ja nicht am schlechten Beispiel von Merkel in Deutschland orientieren, wo sie das Problem die letzten Jahre bewusst heruntergespielt hat und nun desaströse Zustände herrschen. Der Berufstand der Pflegenden muss zudem besser bezahlt und die Ausbildung muss generell wieder attraktiver werden. Dass kaum noch jemand den Pflegeberuf erlernen will, lässt mich Schlimmes erahnen, wenn demnächst dann auch eine grosse Mehrzahl an Pflegenden in den wohlverdienten Ruhestand geht. Hoffen wir, die Politik erkennt die Misere und reisst den Kahn herum.