SCHWEIZ: Das Heaven und die 100er Regel

SCHWEIZ: Das Heaven und die 100er Regel
Rechnen tut es sich nicht, das weiss jeder, doch das Heaven in Zürich hat sich trotzdem entschieden, im September jeden Samstag zu öffnen, dies nicht zuletzt auch, um den jungen Queers den nötigen Safe Space zu bieten, auf den sie auch aufgrund neuer Gewaltvorfälle im Nachtleben dringend angewiesen sind. gay.ch hat mit Marco Uhlig über die aktuelle Situation und über die Zukunft des Heaven gesprochen...

Etliche Clubs in Zürich bleiben bis auf weiteres geschlossen, und zahlreiche Partylabels sagen ihre Partys in der Limmatstadt seit der 100er Regel ab. Schon mit 300 Personen war es enorm schwierig, das Heaven am laufen zu halten, doch es war nach dem langen Lockdown immerhin ein Anfang, quasi ein erster Schritt zurück in die Normalität. Doch mit den steigenden Corona-Zahlen kam auch die Verschärfung bei den Massnahmen in den Clubs zurück. Neu ist 100 die magische Zahl für Partys im Kanton Zürich, und wer nur ein klein bisschen rechnen kann, der weiss, dass sich mit 100 Gästen kein Club und keine Party finanziell lohnen kann. Weshalb sich das Heaven aber trotzdem entschieden hat, in den kommenden Wochen jeweils am Samstag zu öffnen, erklärt Marco Uhlig im gay.ch-Interview.

Das erste 100er Wochenende liegt hinter euch, der Kassensturz ist gemacht: Wie warst Du mit der ersten Party unter den neuen Corona-Massnahmen zufrieden?
Marco: Wir haben das vergangene Wochenende eigentlich hauptsächlich nach zwei Kriterien beurteilt - Erstens: Wie ist die Stimmung und macht es den Gästen überhaupt Spass mit nur 100 Personen im Club, oder gehen alle bereits um 1 Uhr nach Hause? Und Zweitens: Geht die Rechnung für uns auf - sprich, mit den Fixkosten und den während der Party anfallenden Kosten. Punkt 1 hat gut funktioniert. Wir haben einige Massnahmen getroffen, wie etwa das DJ-Pult an einen neuen Ort gestellt und den Club somit künstlich etwas verkleinert, und auch die Beleuchtung haben wir etwas angepasst. Die Leute haben gefeiert, getanzt, mitgesungen und es herrschte gute Stimmung. Wir mussten sie sogar um 5 Uhr 30 rausstellen, da wir eigentlich nur bis 5 Uhr geplant haben, aber unsere Gäste hatten offenbar Sehnsucht nach Ausgang und Party. Betreffend den Kosten müssen wir klar sagen, dass es sich nicht rechnet, doch das haben wir eigentlich auch schon vorher gewusst. Wir hatten gerade auch deswegen wieder eine Krisensitzung, und mussten uns leider auch von Personal trennen.

Ihr habt euch aber trotzdem entschieden, den Club vorläufig am Samstag für eure Gäste zu öffnen...
Genau, finanziell stimmt es nicht, und wir legen auch drauf, doch wir verlieren auch Geld, wenn das Heaven zu ist. Wir haben uns entschieden trotz der 100er Regel weiter jeweils Samstags zu öffnen, weil es ein absehbarer Zeitraum ist, sofern sich der Kanton an seine selbst gemachten Abmachungen hält. Die Behörden haben nämlich davon gesprochen, dass die 100er Regel nur bis Ende September gilt, und wenn dann die Grossveranstaltungen mit über 1000 Gästen beginnen, wäre es unfair, wenn die 100er Grenze in den Clubs bleiben würde.

Wie ist also euer Fazit?
Es war eine schöne Party, die Stimmung war super, doch wir verlieren Geld. Aus meiner Sicht zielt die 100er Regel aber ohnehin nur darauf ab, dass die Clubs quasi von sich aus schliessen, denn jeder weiss, auch der Kanton, dass sich eine solche Party nie und nimmer rechnen kann. Daher bin ich der Meinung, dass der Kanton sich mit der Massnahme nur aus der Verantwortung stehlen will. Würde er nämlich die Schliessung der Clubs anordnen, müsste er sich finanziell auch am Schaden beteiligen, respektive, er würde Voraussetzungen schaffen, mit welchen wir etwa bei den Vermietern anklopfen könnten um über Mietreduktionen zu verhandeln.

Was wäre deiner Meinung nach denn der nächste Schritt?
Weder will ich das Heaven auf Biegen und Brechen offen halten, noch will ich irgendwelche Regeln brechen, doch ich finde, dass nun endlich mal die Kulturbetriebe, das Nachtleben und die Politik an einen Tisch sitzen sollten, und zwar bevor neue Massnahmen beschlossen werden. Diese Synergien soll man nutzen um gemeinsam die beste Lösung für alle zu finden - und zwar faire Regeln. So finde ich es komisch, dass wir nach Meinung des Kantons neuerdings quasi nicht mehr "Partyveranstalter" sind, sondern "Partygastronome". So gelten für Veranstaltungen total andere Regeln als für die Gastronomie, wo auch Clubs und Partys neuerdings dazugerechnet werden, obwohl es eigentlich keinen Unterschied zu Veranstaltungen gibt. Bei den aktuellen Regeln wird die Lage meiner Meinung nach also mit unterschiedlichem Augenmass beurteilt.

Das Heaven nimmt auch eine wichtige Funktion als Safe Space für Queers wahr...
...und genau dies ist auch der Grund, weshalb wir uns trotz dieser widrigen Umstände entschieden haben, vorderhand wenigstens am Samstag zu öffnen. Das Heaven wird von vielen jüngeren LGBTI+ besucht, welche im Club in einem behüteten Rahmen feiern wollen. Wir wollen nicht, dass die jungen Queers gezwungen sind, sich auf der Strasse zu treffen, etwa im Niederdorf, wo sie wieder Opfer von Hassverbrechen werden könnten. Es gab nämlich bereits wieder neue Gewaltvorfälle, unter anderm auch im "Dörfli", und daher ist es uns ein Anliegen, dass sie sich in einem sicheren Umfeld treffen und zusammen feiern können.

Neben dem Heaven organisierst Du unter anderem auch noch das Heaven Drag Race.
Dieses mussten wir schweren Herzens auf das Jahr 2021 verschieben. Die Lage war zu ungewiss, und es war schlicht unmöglich, einen solch grossen Anlass zu planen. Auch für die Queens war es zu unberechenbar: Im Sommer würden wir normalerweise proben und entscheiden, wer welchen Auftritt auf der Bühne absolviert. Da ist enorm viel Effort auch von den Girls gefragt, sei es beim Einstudieren des Auftritts, aber auch bei den Kostümen, Schminke und vielem anderen mehr, und das wäre schade, wenn der Anlass dann kurzfristig doch nicht stattfinden darf. Das Drag Race lebt zudem vor allem von den Eintritten, und bei Einschränkungen bei den Gästezahlen, wäre auch das finanzielle Risiko zu gross geworden. Wir haben nun mal den März 2021 ins Visier genommen, doch dazu muss der Kanton demnächst die Massnahmen für Anlässe stark lockern, ansonsten verschieben wir es nochmals...

Und wie gehts mit der Boyahkasha weiter?
Die nächste Party wäre für den 10. Oktober im Plaza, doch dies ist leider noch sehr ungewiss, obwohl uns gerade diese Ausgabe sehr am Herzen liegen würde. Das Motto haben wir mit Out & Proud längst bekannt gegeben, und dies würde perfekt zum Internationalen Coming Out Day vom 11. Oktober passen. Man könnte quasi reinfeiern. Wir sind derzeit im Gespräch mit dem Plaza, doch für uns ist es aktuell noch wichtiger, dass sich auch dieser Club wieder erholen kann. Ich habe auch selber ein zwiespältiges Gefühl, wenn ich daran denke: Eben waren Partys für nur 100 Gäste erlaubt, und dann plötzlich eine so grosse Kiste. Doch wie gesagt, erst muss es dem Plaza gut gehen, dann müssen die neuen Regeln auch für diese Party stimmen, und dann sehen wir weiter...

Mit Blick auf das queere Nachtleben: Was wünscht Du dir von uns allen?
Wir müssen zusammenhalten und uns diesen - für uns alle - schwierigen Umständen stellen. Ich hoffe, dass die Community die queeren Clubs und Bars unterstützt, dass man wieder ausgeht, um etwas zu trinken, und zu feiern. Denn nicht nur die Betreiber dieser Locations müssen nun zusammenhalten, sondern auch die Gäste. Wir haben zwar die Regel mit den 100 Personen - inklusive Personal - und dazu verkaufen wir die Tickets über den Vorverkauf. Doch, auch nach dem Besuch im Tiptop oder im Cranberry lohnt sich noch ein Besuch im Heaven, denn wenn andere Gäste den Club verlassen, etwa um auf das letzte Tram oder den letzten Zug zu gehen, dürfen wir wieder neue Gäste reinlassen, und dazu haben wir auch extra die Abendkasse offen.