PORTRAIT: Der wohl mutigste TV-Moderator in Mexiko
Obwohl Mexiko in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte in Bezug auf die Rechte für die LGBTI+ Community gemacht hat, gehört das Land nach wie vor zu den gefährlichsten für queere Menschen, was Gewalttaten betrifft. Diesem nicht eben einfachen Umfeld will Guillermo Barraza mutig die Stirn bieten. Er ist Fernsehmoderator in Mexiko-Stadt und verwandelt sich für seine Nachrichtensendung La Verdrag beim Sender Canal Once jeweils in Drag Queen Amanda. Dass er damit polarisiert, ist ihm durchaus bewusst.
Familie, Freunde und Bekannte raten ihm längst, dass er sich aus dem Rampenlicht zurückziehen, oder zumindest nicht mehr über Politik sprechen solle, es sei zu gefährlich, erklärt Barraza in einem Interview. Doch obwohl er mit ständigen Beschimpfungen und Morddrohungen konfrontiert ist, macht ihn dies nur entschlossener. Er habe viel mehr Freiheiten als Amanda, und er habe erst noch weniger Probleme, denn eine Kunstfigur kann man schlecht anfeinden. Auch könne er offener sein: Was sich Guillermo Barraza zweimal überlegen würde, spreche Amanda einfach direkt an.
Seine Sendung ist eine Mischung aus Interviews, tiefgründig recherchierten Hintergrundberichten und Schlagzeilen. La Verdrag ist eine Sendung in der Minderheiten die Mehrheit sind, wie Amanda gerne vor der Kamera sagt. Da die Sendung äusserst beliebt ist, sorgt sie gerade in den Sozialen Medien aber leider auch für Tausende von Hasskommentaren. Es werde immer schlimmer, erklärt der Moderator, und besonders in jüngster Zeit gebe es immer mehr Morddrohungen. Dies könne schliesslich auch zu Morden im realen Leben führen, ist er überzeugt.
Er wäre nicht der erste Journalist der umgebracht werde, und auch nicht der Letzte, so Barraza. Dabei macht er sich aber nicht in erster Linie um sich Sorgen. Seine grösste Angst sei, dass er mit seiner Arbeit anderen Menschen schaden würde, so etwa seinem Partner, seiner Mutter oder seinem Bruder. Er wolle die Angst nicht gewinnen lassen, auch wenn er sich durchaus bewusst ist, dass er sich mit seinen Auftritten zur Zielscheibe macht. Je sichtbarer man ist, desto stärker könne man sich für Veränderungen einsetzen, zeigt er sich überzeugt. Wirklich sicher sei man in diesem Land aber ohnehin nicht.
Mexiko-Stadt ist wohl der toleranteste Ort im Land. Es gibt das queere Viertel Zona Rosa, und auch die Touristenviertel und die reicheren Gegenden der Stadt sind tolerant. In anderen Gegenden der Stadt wird man aber nie eine Pride-Fahne sehen, zu gross ist die Angst dort. Jede queerfreundliche Äusserung eines Politikers, jede neue Buchhandlung für die Community und jede neue LGBTI+ Bar wird dafür von La Verdrag thematisiert, denn dies bringt noch mehr Sichtbarkeit und trägt damit auch zu mehr Toleranz bei.
Dem im Weg stehen jedoch die verbreitete Macho-Kultur und die starke katholische Kirche, eine Mischung, welche auch Hassverbrechen gegen queere Menschen ermöglicht und mitunter tödlich enden kann. Dies zeigte sich jüngst bei Ociel Baena - der ersten nicht-binären Person in Lateinamerika, welche in ein richterliches Amt gewählt wurde. Im Oktober bei La Verdrag zu Gast, wurde Baena nur zwei Wochen später tot in der Wohnung aufgefunden. Da der Partner gleich daneben ebenfalls tot war, wurde die Tat schnell als Beziehungsdrama abgetan - wie so oft, wenn es um queerfeindliche Hassverbrechen geht.
Die meisten Morde an LGBTI+ werden nicht genauer untersucht und somit bleibt das wahre Motiv oft im Dunkeln. Dies bedeutet auch, dass die Dunkelziffer bei Hassverbrechen, welche aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität passieren, enorm gross ist. Nach dem Mord an Ociel Baena kam es in Mexiko-Stadt zu Protestaktionen durch die Community. Hunderte zogen mit Trommeln und Regenbogenfahnen vor den Präsidentenpalast um gegen die Untätigkeit der Behörden und der Justiz zu protestieren. Ebenfalls unter den Demonstranten befand sich Guillermo Barraza. Trotz der vielen Gefahren und Bedrohungen liess er es sich nicht nehmen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und seine Forderung an die Regierung zu platzieren - selbstverständlich auch mit einem Bericht für seine Sendung La Verdrag.
Brauchst Du Hilfe und möchtest Du mit jemandem sprechen? Hier findest Du Hilfe:
Die Schweizer LGBT+ Helpline steht Dir unter der Nummer 0800 133 133 kostenlos zur Verfügung. Mehr Infos: lgbt-helpline.ch
Weitere Information erhältst Du auch unter:
Du-bist-du.ch: Beratung und Information
Milchjugend: Übersicht über queere Jugendgruppen
Transgender Network Switzerland: Dachorganisation für trans Menschen
LOS: Lesbenorganisation Schweiz
Pink Cross: Dachorganisation schwuler und bisexueller Männer