PORTRAIT: Indonesiens Menschenrechtsverletzungen gegenüber der LGBTI+ Community

PORTRAIT: Indonesiens Menschenrechtsverletzungen gegenüber der LGBTI+ Community
Die Situation für LGBTI+ hat sich in Indonesien seit 2016 massiv verschlechtert: So kommt es immer wieder zu Massenverhaftungen, Razzien oder gar zu öffentlichen Auspeitschungen und anderen gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber queeren Menschen. Am 7. März stimmt die Schweiz nun über ein Freihandelsabkommen mit eben diesem Land ab. gay.ch hat sich daher mit Purba von GAYa NUSANTARA ausgetauscht, um mehr über die aktuelle Lage im Land zu erfahren, aber auch darüber, ob mehr Engagement von Seiten der Schweizer Regierung willkommen wäre...

Abgesehen von der Provinz Aceh auf Sumatra, ist es in Indonesien nicht illegal homosexuell zu sein, doch dies ändert nichts an der Tatsache, dass die Rechte von queeren Menschen seit 2016 massiv unter Druck geraten sind. Die LGBTI+ feindliche Rhetorik von Regierungsbeamten und Politikern zeigt Wirkung, und so kommt es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen. Selbst auf der beliebten Ferieninsel Bali hat sich die Situation inzwischen verschlechtert, insbesondere für die lokale LGBTI+ Community.

Im Vorfeld der Volksabstimmung über das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien hat sich gay.ch mit Purba von der Organisation GAYa NUSANTARA (GN) unterhalten - der ersten dieser Art in Indonesien. Die Organisation, welche sich über Spenden finanziert, kümmert sich um die Aufklärung bezüglich der Menschenrechte, um die sexuelle Gesundheit, insbesondere HIV und Aids, und kämpft gegen Diskriminierungen auf Basis der Sexualität. Bereits am 1. August 1987 durch Dédé Oetomo gegründet, wurde die Organisation am 27. Juni 2012 mit der Genehmigung des Justiz- und Menschenrechtsministeriums in eine Stiftung umgewandelt. Im Moment besteht GN vor allem aus schwulen Männern, doch es sind alle willkommen mitzuhelfen.

Im Interview sprach Purba nun über die Aufgaben, welche GAYa NUSANTARA übernimmt, über die aktuelle Situation für die Community, und er erklärte aber auch, dass er stolz sei, gerade für gay.ch Red und Antwort zu stehen, denn die Webseite werde von der indonesischen Regierung offenbar als gefährlich eingestuft, denn sie ist im Land blockiert und nicht aufrufbar.

Wie sieht deine tägliche Arbeit aus: Welches sind die Ziele und die aktuellen Projekte von GAYa NUSANTARA?
Die Arbeit von GAYa NUSANTARA (GN) konzentriert sich auf die HIV- und Aids-Prävention, insbesondere für Schwule und Männer, die Sex mit Männern haben, aber manchmal auch für Lesben und für die Öffentlichkeit im Allgemeinen. Dies ist unsere tägliche Arbeit. Auf freiwilliger Basis leisten unsere Mitarbeitenden auch Aufklärungs- und Beratungsarbeit, oder nehmen Überweisungen zu Gesundheitsdienstleistern vor. Oft begleiten unsere Mitarbeitenden diese Menschen auch, bis sie selbstbewusst genug sind, um alleine zu den Gesundheitszentren zu gehen um sich auf HIV/Aids oder andere STI testen oder beraten zu lassen, oder um sich die nötigen HIV-Medikamente zu besorgen. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht immer rund um die Uhr für sie bereit sein können. Aus diesem Grund bemühen wir uns, sie mit verschiedenen Communities in Verbindung zu bringen um ihnen zu zeigen, wie sie auch selber an STI/HIV-Tests kommen können, wann immer sie einen brauchen. So wollen wir sie unabhängiger machen.
Wir haben zudem auch unsere Social-Media-Seiten, welche wir pflegen, um mit unseren Followern in Kontakt zu bleiben. Viele von ihnen wenden sich mit ihren Problemen bei uns, so bitten sie etwa um Rat, wenn es um ihr Coming-out geht, oder es kam auch schon vor, dass sie uns um Hilfe baten, weil sie von ihren Eltern zu Hause eingesperrt wurden, weil sie queer sind.
Ansonsten hängt unsere jeweilige Arbeit jeweils von der Art der Projekte ab, die wir gerade umsetzen. Zurzeit haben wir ein Projekt mit OutRight International zur Wahrung der Grundfreiheiten in (Ost-)Indonesien zusammen mit fünf indonesischen Partnerorganisationen aufgegleist.
Unser Ziel als LGBTI+ Organisation ist es schliesslich, dass wir ein Indonesien sehen wollen, welches die Menschenrechte respektiert, garantiert und erfüllt, und welches dafür sorgt, dass die Menschen gleichgestellt, in Freiheit und in Vielfalt leben können, wenn es um ihren Körper, ihre Geschlechtsidentität und -ausdruck und um ihre sexuelle Orientierung geht.

Wo siehst Du die Gründe, warum sich die Situation für LGBTI+ in den vergangenen Monaten und Jahren verschlechtert hat?
Die Antwort darauf könnte ein ganzer Aufsatz lang sein, denn es ist eine Kombination aus verschiedenen Dingen wie etwa dem mangelnden Schutz durch die Regierung, aufgrund der Kultur, der Religion, der Zensur von LGBT+ bezogenen Inhalten im Internet und der Alphabetisierungsrate des Landes. Aber um es kurz zu machen, wir denken, dass es im Fehlen eines Antidiskriminierungsgesetzes verwurzelt ist, das die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität auf nationaler Ebene abdeckt. Das indonesische Antidiskriminierungsgesetz deckt derzeit nur Rasse und Ethnie ab. Es gibt zwar Antidiskriminierungsbestimmungen für Mitarbeitende aufgrund des Geschlechts, aber die Definition von Geschlecht ist immer noch binär. Aus diesem Grund kann die Anti-LGBT+ Rhetorik der indonesischen Regierungsbeamten im Jahr 2016 weder rechtlich noch moralisch belangt werden und das Gesetz hat daher auch keine abschreckende Wirkung. Diese Regierungsbeamten legitimierten eigentlich die Verfolgung von LGBTI+ durch religiös-fundamentalistische und andere Gruppen. Razzien und Selbstjustiz bei LGBTI+ Treffpunkten und Geschäften haben seitdem zugenommen.

Welches sind die Schritte, mit welchen ihr versucht die Situation für LGBTI+ im Land zu verbessern?
Ein grosser Teil unserer Arbeit besteht darin, dass wir in Bezug auf Menschenrechte, Geschlecht, Gender und Sexualität, sexuelle Gesundheit und das Wohlbefinden Recherchen durchführen, Publikationen veröffentlichen und Aufklärung betreiben. Zudem setzen wir uns auch für diese Bereiche ein und sammeln Informationen dazu.
Früher konnten wir unsere Projekte noch offline durchführen, aber seit 2016 ist dies schwierig geworden. Ein paar Mal wurden unsere Arbeitsräume bereits von Schlägern verwüstet, alles eine Folge der Anti-LGBTI+ Rhetorik der Regierungsbeamten. Jetzt, während COVID, sind solche Workshops ebenfalls praktisch unmöglich geworden. Daher haben wir unsere Arbeit vorerst in den virtuellen Raum verlegt.
Aber es gibt immerhin einen Silberstreifen am Horizont. Seit wir verstärkt online sind, spüren wir auch immer mehr Engagement von jungen Menschen. Jene, welche nun ihren Aktivismus in Bezug auf die Menschenrechte beginnen, jene, welche sich dafür zu interessieren beginnen, und wir erfahren von anderen Verbündeten, welche unsere Anliegen teilen. Daher wird es unser nächster Schritt sein, dass wir uns auf dieses junge Publikum konzentrieren um ihnen den Wert der universellen Menschenrechte zu vermitteln. Sie werden es dann sein, welche die Konservativen ohnehin einmal ersetzen werden.

Steht das neue, überarbeitete Strafgesetzbuch, das gleichgeschlechtliche Handlungen illegal machen könnte, noch zur Abstimmung im Parlament? Wie stehen die Chancen für eine Kriminalisierung von Homosexualität?
Der Gesetzesentwurf wurde 2019 vorerst auf Eis gelegt, weil es Probleme mit einigen Artikeln gab, welche die Menschenrechte betreffen. Daher kam es nicht zur Debatte und es wurde auch nicht zur Ratifizierung vorgelegt. Wir wissen nun aber nicht, ob es nicht trotzdem noch zur Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichen Handlungen kommen könnte.

Welche Auswirkungen haben diese Anti-LGBTI+ Ressentiment auf die HIV-Situation in der Community?
Sollte dieser Entwurf des Strafgesetzes tatsächlich einmal umgesetzt werden, dann würde dies bedeuten, dass die Communitys, welche wir aufgebaut haben, fortan kriminalisiert würden, und zwar schon alleine dafür, wenn wir Informationen verbreiten, welche sich etwa darum drehen, wie man Safe Sex praktiziert. (Mehr Infos dazu findest Du hier)

Würdest Du Dir wünschen, dass die Schweiz oder andere Länder die LGBTI+ Rechte mit der indonesischen Regierung diskutieren, oder könnte dies die Situation verschlimmern bzw. betrachtet die indonesische Regierung dieses Thema als interne Angelegenheit?
Zunächst möchten wir unseren Allies in der Schweiz dafür danken, dass sie uns bei ihrer Arbeit miteinbeziehen. Das bedeutet uns sehr viel. Wir würden uns auf jeden Fall wünschen, dass die Schweizer Regierung die Regierung in Indonesien weiterhin auf die LGBTI+ Rechtsverletzungen anspricht und auch darauf drängt, dass unsere Regierung etwas dagegen unternehmen muss, damit das Freihandelsabkommen auch vollständig umgesetzt werden kann. Da dies von Regierung zu Regierung geschieht, glauben wir nicht, dass es die Situation für uns verschlimmern würde, denn sollte unsere Regierung tatsächlich entsprechende Massnahmen ergreifen, dann würde das im Stillen geschehen.

Wenn Du einen Blick in die Zukunft wagst: Wie schätzt Du die Situation für LGBTI+ in Indonesien in 5 und in 10 Jahren ein?
Es gibt viele Gründe, vorsichtig optimistisch zu sein, egal was noch passiert. Wir haben gesehen, dass immer mehr LGBTI+ NGOs im ganzen Land entstanden sind, so wurde 2007 beispielsweise ein Netzwerk namens GWL-INA als LGBT+ Dachorganisation gegründet. Interessanterweise haben sich zudem auch kleine Gruppen von LGBTI+ Menschen und ihren Verbündeten gebildet. Es geht also aufwärts, und wir sollten wirklich optimistisch sein, denn das spornt uns an, uns noch mehr für die indonesische LGBTI+ Community einzusetzen. 

Um ihre Arbeit als Non-Profitorganisation weiterführen zu können, ist GAYa NUSANTARA auch auf Spenden angewiesen.

Links:
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