PORTRAIT: Wie ein schwuler Journalist den Grossen dieser Welt das Fürchten lehrt
Jair Bolsonaro sei (noch) kein Diktator und deshalb habe er nicht die Macht, Leute zu stoppen. Um jemanden festzunehmen müsse man einem Gericht erst Beweise vorlegen, die zeigen, dass ein Verbrechen begangen wurde. Und diese Beweise bestehen nicht: Dies die Antwort von Glenn Greenwald auf die Aussage des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, dass man „den Journalisten“ einfach inhaftieren könnte. Dies war einer der Höhepunkte im aktuellen Schlagabtausch zwischen Bolsonaro und Greenwald. Dass der 52-.jährige Journalist ein rotes Tuch für den Präsidenten ist, steht ausser Frage, deckt er doch immer neue Details in einem gravierenden Fall von Machtmissbrauch rund um Justizminister Sergio Moro auf, und ist er doch erst noch schwul und mit dem brasilianischen Abgeordneten David Miranda verheiratet, einem politischen Gegner Bolsonaros.
Miranda und der Journalist lernten sich während einer mehrmonatigen Reise Greenwalds in Brasilien kennen. Damals, vor der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in den USA, gab es aufgrund des Defense of Marriage Acts für gleichgeschlechtliche Paare keine Möglichkeit für eine Aufenthaltsbewilligung in den Staaten und so entschieden sich die Beiden erst mal in Rio de Janeiro zu bleiben. Und sie sind hängen geblieben, wohnen noch immer in Rio und haben 2017 zwei Kinder adoptiert, was dem extrem homophoben Präsidenten ebenfalls widerstreben dürfte. Neben seinen journalistischen Tätigkeiten hat er zudem zusammen mit seiner Familie ein Tierheim für herumstreunende Tiere aufgebaut, in welchem ausschliesslich obdachlose Menschen arbeiten.
Doch wer ist dieser Glenn Greenwald, der den Grossen dieser Welt das Fürchten lehrt? Er galt lange Zeit als einflussreichster Meinungsbildner und Kolumnist der USA, andere bezeichneten ihn zudem als den unerschrockensten, politischen Kommentator, welcher die amerikanische Linke zu bieten hat. Schon alleine diese Attribute zeigen den Einfluss, welcher Glenn Greenwald hat. Erst studierte er Rechtswissenschaften und war dann als Anwalt tätig. Nach eigenen Angaben müde vom ewigen Prozessieren, lancierte er darauf seinen eigenen Blog mit dem Titel Unclaimed Territory, Unbesetztes Gebiet, und schrieb später auch für die Webseite salon.com als politischer Kommentator. Dabei bezog er etwa auch Stellung im Fall von Chelsea Manning, deren Arbeit als Whistle-Blowerin im Zusammenhang mit WikiLeaks er ausdrücklich lobte.
Nur wenig später sah sich Glenn Greenwald dann selber inmitten einer Staatsaffäre mit ebenso grosser Tragweite: Er wurde nämlich gegen Ende 2012 von Edward Snowden, einem ehemaligen Dienstleister für die National Security Agency NSA, kontaktiert, da dieser im Besitz von zahlreichen heiklen Dokumenten war, welche er gerne mit ihm teilen würde. Erst lehnte Greenwald noch ab, doch als Snowden Filmemacherin Laura Poitras überzeugen konnte, mitzumachen, gelang es ihnen auch Greenwald an Bord zu holen. Er und sein Team durchforsteten schliesslich zwischen neun- und zehntausend Dateien. Am 5. Juli 2013 veröffentlichte er, jetzt als Journalist beim britischen Guardian, die ersten Dokumente von Snowden. Es kamen turbulente Monate auf Greenwald, David Miranda, Edward Snowden und Laura Poitras zu: So wurde Miranda beispielsweise am Flughafen von London Heathrow festgenommen und während fast neun Stunden verhört, als er nach einem Treffen mit Poitras in Berlin dort ankam. All seine elektronischen Geräte und Speichermedien wurden zudem einbehalten. Das Argument von Vertretern der Regierung Cameron damals, dass die mittlerweile rund 58'000 Dokumente, welche bei ihm gefunden wurden, die Sicherheit Grossbritanniens gefährden würden, wenn sie ungefiltert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden. Die Enthüllungen gingen aber weiter und die damit verbundenen Recherchen brachten Greenwald und seinem Team schliesslich 2014 gar den renommierten Pulitzer Preis für Öffentlichkeitsarbeit ein. Die Arbeit zwischen dem Journalisten und Snowden war zudem auch Thema der mit einem Oscar ausgezeichneten Dokumentation Citizenfour, sowie des Spielfilms Snowden von Oliver Stone. Darin wurde Greenwald vom schwulen Schauspieler Zachary Quinto gespielt.
Mittlerweile hat Glenn Greenwald dem Guardian den Rücken gekehrt und betreibt zusammen mit Laura Poitras und Jeremy Scahill die Webseite Intercept Brasil, welche Nachrichten auf englisch und portugiesisch veröffentlicht. Dabei ist die Plattform vor allem dazu da, um Journalisten die Möglichkeit zu bieten um relevante Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne dass sie dabei finanzielle Repressalien befürchten müssen. So drehen sich viele Artikel rund um Justizmissbrauch, Korruption, die Verletzung von Bürgerrechten oder um soziale Ungerechtigkeiten. Dabei schreiben er und sein Team sowohl über Themen rund um Brasilien, aber auch weiterhin über die USA. Weiterhin versucht er zudem so ausgewogen wie möglich zu berichten und geht sowohl mit den Republikanern, als aber auch mit den Demokraten teils hart ins Gericht – gerade jetzt in solch unberechenbaren Zeiten rund um die Regierung Trump, in der auch die Opposition nicht immer die beste Falle macht.
In einem im Sommer veröffentlichten Artikel schrieb Glenn Greenwald nun, dass der brasilianische Justizminister Sergio Moro, einer der Schlüsselfiguren in Bolsonaros aktueller Regierung, unerlaubterweise einen Staatsanwalt kontaktiert habe, während der einen Korruptionsfall rund um den ehemaligen, brasilianischen Präsidenten Luis Lula da Silva und Petrobras untersucht hat. Dazu legte der Journalist einen Chat-Verlauf von Telegram als Beweis der sogenannten Operation Car Wash vor. Das mutmassliche Ziel damals offenbar neben der Aufklärung tatsächlicher Verbrechen: Den früheren Präsidenten Lula von einer dritten Amtszeit abzuhalten und damit vermutlich auch den Weg für Bolsonaro zu erleichtern. Bolsonaro wiederum sah diesen Artikel als einen Angriff gegen seine Person und die eines seiner Unterstützer. Die Reaktion des Präsidenten und seines Teams liess nicht lange auf sich warten und so schrieben sie, dass Greenwald und seine Online-Plattform auf einer Stufe mit kriminellen Hackern stehen. Doch er beliess es nicht nur bei diesen und weiteren, teils LGBTI+ feindlichen Beschimpfungen, sondern, er drohte auch gleich mit der Inhaftierung von Greenwald. Letztere Drohungen Bolsonaros fielen, als er gefragt wurde, ob Glenn Greenwald nach den neu eingeführten Richtlinien ebenfalls das Land verlassen müsse. Diese besagen nämlich, dass Ausländer ein Schnellverfahren zur Ausweisung erhalten, wenn sie als „gefährlich“ gelten oder die Verfassung verletzen. Bolsonaro entgegnete darauf nur, dass der Journalist zwar in den USA geboren wurde, aber in Brasilien wohne und mit dem brasilianischen Abgeordneten David Miranda verheiratet sei. Aber man könnte ihn vielleicht inhaftieren, ergänzte der Präsident weiter.
Auf die eingangs erwähnte Reaktion von Greenwald hat Bolsonaro nicht mehr gross reagiert, dafür aber seine Anhänger umso schärfer: Seit sich der Präsident nämlich auf den schwulen Journalisten eingeschossen hat, wird dieser zusammen mit seiner Familie mit homophoben Botschaften und gar Morddrohungen überhäuft. Zudem hat die Regierung Bolsonaro auch eine Steuerprüfung von Greenwald und dessen Mann angeordnet, um wohl zusätzlich Druck aufzubauen. Dieser Fall entwickelte sich damit wohl zur ersten Prüfung darüber, wie es um die Pressefreiheit im Land steht, seit Bolsonaro das Ruder in Brasilien übernommen hat. Rückendeckung hat Greenwald in der Zwischenzeit vom Obersten Gericht erhalten, welches erklärte, dass jede Untersuchung gegen den Journalisten, welche in Verbindung mit dessen Recherchearbeiten stehen, gegen die brasilianische Verfassung verstosse. Zudem bestätigte der Supreme Court-Richter Gilmar Mendes, dass die Pressefreiheit eine wichtige Säule der Demokratie sei. Ob diese Haltung gegen den unberechenbaren Populisten Bolsonaro bestand hält, muss sich weisen...