HINTERGRUND: Russland hat die Verfolgung von LGBTI+ intensiviert - welche Möglichkeiten hat die Schweiz darauf zu reagieren?

HINTERGRUND: Russland hat die Verfolgung von LGBTI+ intensiviert - welche Möglichkeiten hat die Schweiz darauf zu reagieren?
Seit dem Urteil des Obersten Gerichts hat sich die Situation für queere Menschen in Russland innerhalb weniger Tagen noch einmal massiv verschlechtert. Viele queere Russ:innen versuchen daher das Land so schnell wie möglich zu verlassen. gay.ch hat beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten und beim Staatssekretariat für Migration
 nachgefragt, wie die Schweiz die aktuelle Lage einschätzt, und was die Schweiz unternimmt um LGBTI+ in Russland zu unterstützen.

Kurz nachdem das Oberste Gericht Russlands die "internationale LGBT Bewegung" als extremistisch einstufte und damit quasi auf eine Ebene mit dem IS und Al Qaida stellte, begannen die Behörden bereits mit Razzien in queeren Clubs, Bars und Saunen. Dabei wurden die Betroffenen festgehalten und anschliessend wurden ihre Personalien registriert.

Da die "LGBT Bewegung" formal nicht existiert, öffnet dies den Behörden und Sicherheitskräften, aber auch den Gerichten des Landes Tür und Tor um queere Menschen zu verfolgen und das Urteil nach belieben und willkürlich auszulegen. Dabei könnte bereits die Verhaftung drohen, wenn Personen mit LGBTI+ in Verbindung gebracht werden können, sei es mit queeren Symbolen oder Organisationen. Dies führt dazu, dass viele Queers derzeit versuchen, Russland aus Angst vor langjährigen Haftstrafen fluchtartig zu verlassen, dies gilt insbesondere für Aktivist:innen, welche einem besonderen Risiko ausgesetzt sind.

gay.ch hat beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA und beim Staatssekretariat für Migration SEM
 nachgefragt, wie die Schweiz die aktuelle Situation in Russland beurteilt und welche Möglichkeiten die Schweiz hat um queere Russ:innen zu unterstützen.

Das Oberste Gericht Russlands hat die „internationale LGBT Bewegung" als extremistisch eingestuft und bereits in den Tagen nach dem Urteil kam es zu Razzien in queeren Clubs, Bars und Saunen in Moskau: Gibt es eine Reaktion der offziellen Schweiz auf dieses Gerichtsurteil und die aktuellen Entwicklungen?
EDA: Die Schweiz hat sich im multilateralen Rahmen wiederholt zur Verschlechterung der Menschenrechtslage in Russland geäussert und die Resolution zu Russland unterstützt, in der das Schicksal von Minderheiten und Verteidiger:innen der Menschenrechte angesprochen wird.

Haben queere Russ:innen nach dieser weiteren Verschärfung ihrer Situation nun einfacheren Zugang um Asyl in der Schweiz zu beantragen?
SEM: Gemäß der Schweizer Asylpraxis stellt die sexuelle Orientierung respektive die Geschlechtsidentität einen Asylgrund dar, der - wenn alle Kriterien erfüllt sind - zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus im Sinne von Art. 3 des Asylgesetzes führen kann. Personen, die in ihrem Herkunftsland aus diesem Grund verfolgt werden, haben die Möglichkeit, in der Schweiz einen Asylantrag zu stellen. Ihr Antrag wird individuell geprüft.

Welche Möglichkeiten haben queere Russ:innen um in der Schweiz Asyl zu beantragen, da viele Grenzen geschlossen sind und die Schweiz nur über Umwege erreicht werden kann?
SEM: Asylanträge können nicht im Ausland oder vom Ausland aus gestellt werden. Ausländische Staatsangehörige, die ihr Heimatland aus zwingenden Gründen verlassen müssen, können bei einer Schweizer Vertretung im Ausland aber ein Visum aus humanitären Gründen beantragen. Ein solches Visum wird nur ausgestellt, wenn der Antragsteller direkt, ernsthaft und konkret an Leib und Leben bedroht ist.

Da Russland international stark isoliert ist und der Krieg in der Ukraine im Hauptfokus steht, gibt es trotzdem noch offene diplomatische Kanäle zwischen der Schweiz und Russland um die Situation für LGBTI+ anzusprechen?
EDA: Am 13. November wurde Russland im Rahmen der allgemeinen, regelmässigen Überprüfung - der sogenannten Universal Periodic Review - untersucht. Dies ist ein Mechanismus des Menschenrechtsrats, bei dem alle vier Jahre Empfehlungen anderer UN-Mitgliedstaaten zur nationalen Menschenrechtslage eingeholt werden können. Bei dieser Gelegenheit brachte die Schweiz ihre Besorgnis über mehrere Gesetze zum Ausdruck, die die Grundrechte und grundsätzlichen Freiheiten einschränken, insbesondere die Gesetze zu "Extremismus" und "unerwünschten Organisationen" oder "Fake News" sowie die Arbeit der Zivilgesellschaft. Die Schweiz unterstützt nachdrücklich das Mandat und die Schlussfolgerungen der UN-Sonderberichterstatterin für die Lage in Russland. Wir werden die Menschenrechtslage in ihrer Gesamtheit weiterhin aufmerksam verfolgen.

Gibt es allenfalls eine Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen, deren Arbeit nun möglicherweise verboten wurde, oder mit anderen Ländern um auf diese Weise LGBTI+ in Russland zu unterstützen?
EDA: Die Schweiz finanziert ein Projekt, das Verteidiger:innen der Menschenrechte bei der Ausübung ihrer Arbeit unterstützt. Sie setzt sich dafür ein, sie vor Willkür, Drohungen und Gewalt zu schützen. Die Schweiz ist neben 42 anderen Staaten Mitglied der Equal Rights Coalition, einer Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Schutz der Rechte von LGBTIQ+-Personen sicherzustellen. In diesem Rahmen wird Russland derzeit besonders aufmerksam beobachtet.