PORTRAIT: Cyrill wurde in Zürich verbal angegriffen, weil er sich für einen anderen Mann eingesetzt hat
Achtung: Dieser Artikel handelt von verbaler Gewalt gegen queere Personen.
Im Zürcher Niederdorf wurde ein Mann aus der Community von einem unbekannten Täter queerfeindlich beleidigt. Statt einfach weiterzugehen und die Situation zu ignorieren, hat Cyrill Carter eingegriffen, um das Opfer zu unterstützen. Dass er sich damit selber zur Zielscheibe macht, war ihm bewusst, aber zu diesem Zeitpunkt egal. Für ihn steht im Mittelpunkt, dass alle so sein dürfen, wie sie sein wollen, und dass man sich nicht zu verstecken braucht.
Viele Menschen hätten heute das Gefühl, dass LGBTI+ Feindlichkeiten in der Schweiz kein Problem mehr seien, und dass es "besser" geworden ist, so Cyrill. Doch dies entspricht nicht der Realität, ist er überzeugt. Im Gegenteil, nach seinem persönlichen Gefühl ist es wieder schlimmer geworden. Aus diesem Grund ist für ihn klar: Wir alle müssen nun erst recht als Community zusammenstehen und uns gegenseitig unterstützen, denn wir alle wissen nur zu gut, wie verletzend Homophobie sein kann, erklärt er weiter. Aus diesem Grund ist es enorm wichtig, dass man sich von solchen Hassern nicht runterziehen lässt.
Über die Tat von anfangs vergangener Woche hat sich Cyrill mit gay.ch unterhalten: Du hast eine sehr unangenehme und LGBTI+ feindliche Situation im Zürcher Niederdorf miterlebt und ein Video davon in den Sozialen Medien geteilt. Zuerst bist ja nicht Du verbal angegriffen worden, oder?
Cyrill Carter: Richtig. Zuerst wurde eine andere Person aus unserer Community angegriffen und ich setzte mich für diese ein.
Nachdem Du Dich für die andere Person eingesetzt hast, wurdest auch Du zur Zielscheibe von Anfeindungen. Wie hast Du darauf reagiert?
Es war mir in dem Moment, als ich diese homophobe Person sah, klar, dass ich zur Zielscheibe werde, wenn ich mich einsetze, da ich auch selber schwul bin. Für mich war das aber in diesem Moment okay, denn ich fand es viel schlimmer zu sehen, wie sich die andere Person in einer Position befand, in der sie sich unwohl fühlte. Mit verbalen Angriffen, welche nur gegen mich gerichtet sind, kann ich mittlerweile gut umgehen, aber ich könnte niemals nur zuschauen wie jemand anderes aus meiner Community fertig gemacht wird. Zusätzlich hatte ich noch eine meiner besten Freundinnen mit dabei, welche immer hinter mir steht, und sie gab mir mit ihrer Anwesenheit zusätzliche Stärke und Selbstbewusstsein.
Würdest Du also nochmals gleich reagieren?
Absolut ja, jederzeit. Ich finde es wichtig, dass wir uns füreinander einsetzen.
Was wünscht Du Dir von der Gesellschaft, wenn Du an diese Situation zurückdenkst, welche Du mitten in einer belebten Strasse in Zürich erlebt hast?
Hinschauen statt wegschauen! Ich kann eine homophobe Person nicht ändern. Aber ich kann ändern, wie andere Leute reagieren. Ich wünsche mir, dass die Leute auf den Strassen nicht einfach ignorant weitergehen und so tun als wäre nichts gewesen. Ich wünsche mir, dass man der Person beisteht, welche angegriffen wird. Einfach nur stehenbleiben würde schon reichen, sodass das Opfer nicht alleine ist. Ich verstehe, dass viele Angst haben und sich nicht getrauen etwas zu sagen, da solche Situationen immer sehr laut und aggressiv sind. Aber stellt euch wenigstens hin, denn nur zusammen ist man stark.
Ist Dir das schon mal passiert, und was rätst Du anderen Opfern von Queerfeindlichkeiten?
Leider gehört das zu meinem Alltag. Ich rate jeder Person darüber zu sprechen, denn nur so kann man das erlebte verarbeiten. Schätzt die Situation ab, nicht dass ihr selber in noch grössere Gefahr gerät. Sich zu wehren ist wichtig, kann aber auch gefährlich sein. Es gab auch schon Situationen in der Nacht, da rannte ich um mein Leben. Schaut, dass ihr nicht alleine seid, filmt oder ruft jemanden an. Wenn ihr euch wehren könnt, dann sagt etwas. Wenn ihr aber merkt, dass das Gegenüber physische Gewalt anwenden wird, dann geht so schnell wie möglich weiter und ruft die Polizei.
Hast Du die Tat der LGBTI+ Helpline und/ oder gar der Polizei gemeldet, was ja wichtig wäre, damit solche Taten erfasst werden?
Verbale Angriffe melde ich nicht mehr. Würde ich das jedes Mal melden, müsste ich der Polizei täglich anrufen. Wenn es handgreiflich wird, dann rufe ich an.
Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, uns diese Fragen zu beantworten.
Brauchst Du Hilfe und möchtest Du mit jemandem sprechen? Hier findest Du Hilfe:
Die Schweizer LGBT+ Helpline steht Dir unter der Nummer 0800 133 133 kostenlos zur Verfügung. Mehr Infos: lgbt-helpline.ch
Weitere Information erhältst Du auch unter:
Du-bist-du.ch: Beratung und Information
Milchjugend: Übersicht über queere Jugendgruppen
Transgender Network Switzerland: Dachorganisation für trans Menschen
LOS: Lesbenorganisation Schweiz
Pink Cross: Dachorganisation schwuler und bisexueller Männer
Mehr über Cyrill Carter:
Cyrill wohnt in Zürich, kommt aber ursprünglich aus dem Luzerner Hinterland. Derzeit studiert er Hotelmanagement und arbeitet nebenbei auch als Model und TikToker. Auf seinem Account @cyrill.cc will er auf queere Tabuthemen eingehen und die Plattform dazu nutzen um über alles frei sprechen zu können. Dabei geht er auch ganz offen mit seinem eigenen Leben um und thematisiert sein eigenes Coming Out ebenso wie LGBTI+ Feindlichkeiten und Erlebnisse aus seiner Vergangenheit.
Mehr über Cyrill Carter erfährst Du auf seinen Social Media-Plattformen: