PORTRAIT: Vor zehn Jahren ertönte der erste Beat im Club Heaven in Zürich

Es war am 23. Februar 2013 als im T&M an der Marktgasse, dem einzigen explizit queeren Club der Stadt, endgültig das Licht ausging. Das Lokal im Zürcher Niederdorf wurde umgebaut, und für einen Club mit all den damit verbundenen Emissionen des Nachtlebens hatte es an dieser Adresse keinen Platz mehr. Die Sorge in der Community war gross, dass es fortan keinen Safe Space für queere Menschen im Nachtleben der Stadt mehr geben wird.

Umso grösser danach die Freude über die Nachricht, dass mit dem Heaven, nur wenige hundert Meter neben dem ehemaligen T&M, ein neuer Club "im Dörfli" für die LGBTI+ Community öffnen wird. Im März 2013 schoss damals der erste Beat aus den Boxen und seither wurden unzählige Nächte im Untergrund durchgefeiert.

Im Interview mit gay.ch blickt Marco Uhlig auf zehn Jahre Heaven zurück. Er erzählt, was es braucht um heute noch einen queeren Club betreiben zu können, wie Synergien mit der benachbarten Kweer Bar genutzt werden können, und wie das Heaven und sein Team mit den Pandemiejahren und der Gewalt im Nachtleben umgeht.

Vor zehn Jahren: Der erste Beat im Heaven - wie denkst Du an diesen Moment zurück?

Wir hatten damals nur vier Wochen Zeit, den recht maroden Club in ein neues Zuhause für die Community zu verwandeln. Bis zur letzten Minute kurz bevor wir die Türen für die ersten Gäste öffneten, hatten wir noch umgebaut. Mein Geschäftspartner Alain Mehmann und ich haben all unser Geld und Herzblut in den Club gesteckt, da wir uns Zürich ohne einen queeren Club nicht vorstellen konnten. Als am Opening-Abend dann der erste Song gespielt wurde und unsere Gäste anfingen zu tanzen, fiel uns ein grosser Stein vom Herzen und wir waren sehr glücklich. Das Heaven hat die Leute vom ersten Moment an begeistert und der teure Umbau vom Zodiac  - so hiess der Club davor - hin zum Heaven, hat sich gelohnt. Wir fühlten uns sofort wohl und wussten aber auch, jetzt fängt die Arbeit und die Verantwortung erst richtig an. So ein Club ist kein Selbstläufer und es braucht ganz viel Arbeit, um ihn am Leben zu halten.


Das damalige Zodiac

10 Jahre sind im Nachtleben eine halbe Ewigkeit: Wie hat sich deiner Meinung nach die Community und das Ausgehverhalten verändert?
In den 10 Jahren lagen uns recht viele Stolpersteine im Weg, aber wir waren ein sehr gut funktionierendes Duo und haben das gemeistert. Seit ungefähr sechs Jahren führe ich das Heaven nun allein. Wir hatten so viele schöne, fast schon epische Momente im Club. Eigentlich könnte ich jetzt aufhören, dass was ich erleben durfte reicht für zwei Menschenleben. Das Heaven ist aber nicht einfach nur ein Arbeitsplatz und ein Ort zum Tanzen und Spass haben. Es hat sich über die Jahre zu einem wahren Safe Space und einem Ort für die Nachtkultur entwickelt. Wir haben die Veränderungen um uns herum immer als positive Herausforderung verstanden und unser Konzept fortlaufend angepasst. Wir verstehen uns nicht nur als reine Ausschank- und Tanzlokalität. Wir sind mehr als das geworden. Bewusst und proaktiv. Die Community ist eine andere als noch vor 10 Jahren. Tatsächlich sind wir mit dem Heaven 2013 in einer Zeit gestartet, wo sich alles ins Internet verlagert hatte. Das T&M hatte in seinen letzten Jahren stark darunter gelitten. Als damaliger Programmleiter habe ich den schleichenden Niedergang hautnah miterlebt. Die damaligen Unkenrufe, es brauche keine reinen queeren Clubs mehr, sind schon lange verstummt. Es hat sich in unserem Fall als Irrtum herausgestellt. Der reale soziale Austausch an einem sicheren Begegnungsort ist ein starkes Bedürfnis innerhalb unserer Community. Das momentan dennoch queere Bars und Clubs der Community verloren gehen, ist ein weltweites Problem. Dies hängt aber nicht mit ihrer Daseins- oder Nichtdaseinsberechtigung zusammen. Die Gegenspieler von queeren Lokalen sind auch nicht die Online-Chats, es sind viel mehr die hohen Hürden und Auflagen der Behörden, Lärmklagen, Gentrifizierung, der Personalmangel in der Gastrobranche, hohe Mieten und steigende Kosten.


Während dem Umbau vom Zodiac zum Heaven

Und da war da noch Corona, als das Nachtleben vollständig still stand: Spürt ihr da noch etwas, gibt es noch Nachwirkungen, oder ist dieses Thema für euch definitiv abgehakt?
Die lange Pandemiezeit hat zu einem spürbaren Generationenwechsel im Nachtleben geführt. Eine grosse Vielzahl partyhungriger junger Menschen, die vorher noch nie im Ausgang waren, stürmte die Clubs als es wieder losging. Das hat das Nachtleben spürbar verändert. Es ist generell sehr viel jünger geworden. Einige Clubs haben ihr Mindestalter auf über 23 erhöht und ihre Getränkepreise gleich mit. Auch bei uns sind fast alle Kosten sprunghaft angestiegen und dennoch werden wir in naher Zukunft keine Erhöhungen vornehmen. Der Zugang zu einem so wichtigen Ort wie einem queeren Club muss niederschwellig bleiben. Aber auch wir haben während Corona sehr viel Geld von unserem Ersparten ins Überleben vom Heaven gesteckt und zahlen eine recht hohe Miete für unsere knapp 200 m². Die Welt um uns herum wird immer teurer und unsicherer. Geld für eine nächste Pandemie oder Ähnliches anzusparen ist schwieriger geworden. Denken wir aber positiv. Corona ist überstanden und wir machen so lange weiter, bis es uns nicht mehr braucht oder wir in Rente gehen. So wie es die Besitzer vom T&M vor genau 10 Jahren gemacht haben. Dann hoffentlich auch mit zwei jungen Menschen, die das Erbe vom Heaven weiterführen, wie Alain und ich im 2013.

Das Heaven heute...

Erst vor wenigen Wochen gab es wieder einen gewaltsamen Übergriff gegen queere Menschen in der Europaallee: Auch das Heaven war schon betroffen von der Gewalt im Nachtleben: Hat sich die Situation rund um den Hirschen- und den Zähringerplatz etwas beruhigt oder seid ihr immer noch in engem Kontakt mit der Polizei?
Die nahe Langstrassenumgebung und der HB sind definitiv Orte mit hoher Gefahr ein Opfer von Hassverbrechen zu werden. Die Übergriffe haben sich dorthin verlagert. Dennoch ist für uns nicht die Zeit gekommen, um durchzuatmen. Ich setze mich nicht nur als Clubbesitzer, sondern vor allem auch als Privatperson sehr stark dafür ein, das auf politischer Ebene etwas dagegen gemacht wird. Die Polizei ist da nur der ausführende Teil der Lösung. Es muss zum Beispiel ein zielführender Diskurs stattfinden, wer die Täter sind und warum sie so eine gewalttätige Abneigung gegenüber queeren Menschen haben. Es ist für mich persönlich sehr enttäuschend, dass es in Zürich offensichtlich noch immer kein Konzept diesbezüglich gibt und die Vorfälle anscheinend unter den Teppich gekehrt werden. Nach dem Motto, das wird schon wieder vorbeigehen. Meiner Meinung nach ist das keine gute Strategie. Ich habe es aber aufgegeben, dies an die Politik zu adressieren. Dafür gibt es Pink Cross und Co. Vielleicht geht das aber auch nur, wenn ich selbst in die Politik gehe und Dinge von innen her anpacke. Momentan habe ich aber keine Zeit für Parteiarbeit.

Das Heaven hat mit dem Kweer gleich nebenan als Safe Space für die Community Zuwachs erhalten. Da haben sich gute Synergien ergeben, oder? Wie hat sich dies zusammen eingespielt?
Das Kweer ist eine grosse Bereicherung für die gesamte Community. Ein klares Zeichen, das nicht alle queeren Lokale wegbrechen und schliessen müssen, ergo Zürich sein Ausgangsangebot verliert. 
Das Heaven hat spürbar mehr Gäste von weiter weg seitdem das Kweer offen ist. Es gibt nun einen weiteren Ort, der eine Fahrt oder ein Flug nach Zürich attraktiver macht. Nach der jetzigen starken Öffnungsphase vom Kweer, wirkt sich der positive Effekt auch auf das gesamte Niederdorf aus und betrifft nicht nur das Heaven. Da bin ich mir sicher. Zürich hat eine neue Strahlkraft bekommen und mehr Queers beleben das Niederdorf wieder. Sie machen Bar-Hopping im "Bermudadreieck" zwischen Cranberry, TipTop und Kweer und es gibt ein neues Gefühl der Verbundenheit innerhalb unserer bunten Community. Ich spüre die Veränderungen sehr stark. Ein lebendiges "Queer Village" und eine gute Nachbarschaft sind ein Gewinn für alle und ich freue mich riesig auf die kommenden Jahre. Und das sage ich nicht nur als Mitbesitzer vom Kweer, das ist mein ganz grosser Herzenswunsch für das Niederdorf, seine Menschen und Lokale. Nur zusammen sind wir stark.

Das Glamourquiz in der Kweer Bar

Die Drag Community in Zürich war wohl noch nie so gross wie aktuell: Das Heaven ist dabei ein wichtiger Bestandteil, welcher die Drags auch fördert: Wie entdeckt ihr neue Talente und wie könnt ihr diese unterstützen?
Das Talentscouting und der Support der Dragszene ist ein wichtiger Eckpfeiler vom Heaven und meine persönliche Herzensangelegenheit. Kulturförderung ist Chefsache bei uns. Was wir da vor 10 Jahren losgetreten haben und wie es sich bis heute entwickelt hat, ist einfach unglaublich. Ich darf mittlerweile sogar Queens an grosse Produktionen vermitteln. Beim Fernsehen, in der Kultur- und Theaterwelt, aber auch queeren Events im Ausland. Das macht mir sehr viel Spass und es freut mich natürlich umso mehr, dass nebst unserer Arbeit sich die Szene so divers und vor allem auch in anderen Schweizer Städten aus eigener Kraft entwickelt hat. Mit Milky Diamond habe ich seit einigen Jahren eine professionelle Partnerin gefunden. Unser Hauptziel ist es, die Dragkultur auf die Bühne zu bringen. Sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Community. Wir beide organisieren das Heaven Drag Race, das Drag Fest und neu euch die Drag Open Stage im Kweer. Wir suchen übers Jahr hinweg stetig nach Menschen, die sich gerne in der Drag-Kultur versuchen möchten, unterstützen sie und geben ihnen eine Bühne. Social Media und Milky`s Bekanntheit helfen uns sehr beim Finden der neuen Talente. Es mangelt glücklicherweise nicht an Nachwuchs und wir freuen uns schon auf das diesjährige Heaven Drag Race am 23. September. 
Mit unserem Drag Fest haben wir zudem ein Format geschaffen, wo die bestehende Dragszene eine Bühne hat und sich präsentieren kann.


Drag Queens vor dem Heaven

Nun haben wir auf 10 Jahre Heaven zurückgeblickt, doch wie stellst Du Dir den Ausgang und das Heaven in 10 Jahren vor?
Wir müssten erstmal im Jahr 2030 entscheiden, ob wir den Mietvertrag um weitere 15 Jahre verlängern wollen bzw. können. Unsere Vermieterin muss auch wollen. Evtl. ziehen wir dann auch in eine andere Location um. Wir halten regelmässig Ausschau nach etwas Passendem. 
Ob ich dann immer noch nachts im Club stehen möchte und wo uns die aktuellen Geschehnisse in der Welt noch hinführen, kann niemand sagen. Unsere Motivation ist aber weiterhin ungebrochen. Es kann also noch bis 2045 weitergehen. Wenn ich mir den Ausgang in 10 Jahren vorstelle, sehe ich ihn viel digitaler mit mehr Möglichkeiten den Abend selbst zu gestalten. Es wird definitiv kein Bargeld mehr geben und wer weiss, vielleicht tanzen wir an manchen Partys mit VR-Brillen und treffen uns in einem virtuellen Club. Eine weitere queere Bar in der Spitalgasse oder eine echte Regenbogengasse wären aber auch eine schöne Vision.

Danke für das Interview, Marco, und Happy Birthday an Dich und dein Team!

Die komplette Partyagenda des Heaven findest Du zudem jeweils hier in der gay.ch-Partyagenda...