INTERVIEW: Sebastian Meise über seinen Film Grosse Freiheit
Der österreichische Filmregisseur Sebastian Meise widmet sich in seinem neusten Film Grosse Freiheit dem sogenannten Schwulenparagrafen. Nach dem Paragrafen 175, der erst 1994 vollständig aufgehoben wurde, sind in Deutschland schwule Männer verurteilt und in Gefängnisse gesteckt worden. Doch neben dem politischen Aspekt ist es auch ein Film über die Suche zweier Männer nach Liebe und Freiheit. Dies ist bereits der dritte Langfilm von Meise und sein bislang erfolgreichster, was die Aufmerksamkeit und die Kritiken betrifft. Am Filmfestival in Cannes zum ersten Mal gezeigt, wurde Grosse Freiheit darauf auch an weiteren Festivals weltweit präsentiert, und er ist zudem auch in der Vorauswahl für den Europäischen Filmpreis 2021.
Herzliche Gratulation zum Jurypreis Un Certain Regard in Cannes und zur dortigen Premiere: Wie war es für Sie, ihren Film am wohl renommiertesten Filmfestival der Welt präsentieren zu dürfen, und dann auch noch mit einem Jury-Preis ausgezeichnet zu werden?
Das war natürlich ganz grossartig. Nicht nur weil Cannes eines der bedeutendsten Filmfestivals der Welt ist, sondern auch wegen dem Publikum. Das habe ich noch nie erlebt, diese Art von Publikum, diese Begeisterung, da wird das Kino noch richtig gefeiert, so wie man es vielleicht noch aus der Oper kennt, oder aus dem Theater. Sie drücken da ganz direkt ihre Emotionen aus, welche sie dem Film gegenüber haben, und das war für mich in Cannes ein einzigartiges Erlebnis.
Das war ja Ihre Weltpremiere: Haben Sie den Film dann zusammen mit dem Publikum gesehen?
Ja genau, und da gab es Standing Ovations. Aber es kann auch vorkommen, dass die Leute rausgehen und die Türen zu knallen. Es gibt also einen ganz direkten Ausdruck, was sie von dem Film halten. Das ist wirklich einzigartig dort. Da bedeutet Kino noch etwas, und da beginnen die Leute zu klatschen wenn nur schon das Cannes Logo kommt, oder wenn der erste Schauspieler zu sehen ist. Die Feiern das Kino richtig, das ist wirklich toll.
Mit dem Paragrafen 175, dem sogenannten Schwulenparagrafen, nehmen Sie ein sehr dunkles Kapitel in der queeren, deutschen Geschichte auf: Wie sind Sie gerade auf dieses Thema gekommen?
Wir haben Berichte von schwulen Männern gelesen, welche von den Alliierten aus den Konzentrationslagern befreit wurden, und dann gleich wieder ins Gefängnis gesteckt wurden, damit sie ihre restliche Haftstrafe nach dem Paragrafen 175 absitzen mussten. Das hat uns so überwältigt, und das war uns auch unbekannt, und da wussten wir, dass wir dem weiter nachgehen und weiter darüber recherchieren mussten. Ich wusste zwar schon, dass Homosexualität einmal illegal und auch dass die Ächtung gross war, ich bin ja selber in den 1980ern aufgewachsen, wo die Homophobie noch sehr weit verbreitet war, doch dass das alles noch so unglaublich nah ist, war mir nicht bewusst gewesen. Das hat den Stein schliesslich ins Rollen gebracht.
Nach dem Aufenthalt im Konzentrationslager gehen die Qualen für Hans Hoffmann auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter: Haben Sie für Hans Hoffmann eine reale Figur quasi porträtiert, oder steht Hans Hoffmann sinnbildlich für die vielen schwulen Männer, welche damals unter dem Staat gelitten haben?
Wir haben eine ganze Reihe an Interviews mit Zeitzeugen geführt. Zuerst haben wir tiefer recherchiert, dann aber auch schnell gemerkt, dass wir an die direkten Quellen kommen müssen. Wir haben dann auch wirklich Leute gefunden, die dies in den 1960er Jahren noch selber miterlebt haben, die eingesperrt wurden. Der Hans Hoffmann ist somit quasi die Verschmelzung oder das Sinnbild für diese vielen Schicksale von Männern, deren Beziehungen und deren Leben zerstört wurde, und deren Geschichten so in den Akten der Bürokratie verschwanden. Aber Hans Hoffmann ist fiktiv und hat auch relativ schnell ein Eigenleben entwickelt. Die Haltung die er hat, dieses sich nicht brechen lassen, weil er kann ja nicht anders, er kann nicht aufhören zu sein, wer er ist, und er muss sozusagen weitermachen. Seine Existenz beinhaltet eigentlich eine Rebellion. Er muss ungebrochen sein, und das haben wir auch bei allen Zeitzeugen wiedergefunden, welche wir interviewt haben. Dieses sich-nicht-unterkriegen-lassen, und trotzdem zu dem stehen, wer man ist, und weiter zu machen.
Der Paragraf 175 wurde erst 1994 ersatzlos aus dem deutschen Strafgesetz gestrichen - das ist alles andere als lange her: Wie wichtig war es Ihnen diesen Teil der deutschen Geschichte einem jungen, queeren Publikum zugänglich zu machen, für welche dies aus heutiger Sicht kaum vorstellbar ist, oder welche unter Umständen gar nichts davon wissen?
Ich finde das ja eigentlich ein grosser Skandal, muss ich ehrlich sagen, denn der Paragraf wurde zwar 1969 abgeändert, auch unter dem Druck der Reformbewegungen, welche damals stattgefunden haben, doch der Paragraf blieb eigentlich trotzdem noch so lange Zeit bestehen. Dies hat dem Staat erlaubt, die Kriminalisierung quasi weiterzuführen. Die Menschen haben damals keine Wiedergutmachung erfahren, und waren ihr Leben lang Sexualstraftäter. Erst 2017 gab es schliesslich in Deutschland die ersten Wiedergutmachungsangebote, da haben die Leute, die noch gelebt haben, die meisten waren ja bereits gestorben, aber grösstenteils gesagt, dass sie es jetzt auch nicht mehr brauchen. Das ist alles eigentlich sehr skandalös, denn der Staat hat sich damit auch Wiedergutmachungen gespart, denn es gab schliesslich über 100'000 Verurteilungen.
Für viele ist das aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, was damals passiert ist.
Freiheit, und das merkt man immer wieder, ist ein sehr fragiles Gut, auch wenn man beispielsweise aktuell gerade nach Ungarn schaut und sieht, wie schnell das gehen kann, bis wieder solche Gesetze in Kraft treten. Das kann wahnsinnig schnell gehen. Da muss man einfach irrsinnig darauf achten, dass so etwas nicht passiert.
Sie haben den Film nun auch am Zurich Film Festival persönlich präsentiert: Welche Reaktionen erhalten Sie gerade auch von jüngeren Zuschauer:innen oder aus der LGBTI+ Community?
Ich habe - nicht unbedingt in Zürich - aber sonst, nach dem Film immer wieder mit Schwulen gesprochen, und die finden es wichtig, dass es den Film gibt. Aber letztlich finde ich, dass dieser Film sicherlich diesen politischen und geschichtlichen Unterbau hat, aber schlussendlich verfolgt ja ein Film keine politische Agenda und er soll nicht nur eine historische Aufarbeitung sein. Es ist im Grunde genommen genau so eine Geschichte zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und sich einfach in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Freiheit begegnen. Wenn man es universell sehen möchte, versucht ja jede Geschichte, eine Geschichte übers Menschsein zu erzählen und nicht eine konkrete, historische Tatsache aufzuarbeiten.
Genre:
Drama, Geschichte, LGBTI+
Laufzeiten:
117 Minuten
Regie:
Sebastian Meise
Cast:
Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke uam.
Kinostart:
18. November 2021
Synopsis:
Eigentlich will Viktor, ein Mörder, nichts mit den 175ern zu tun haben, doch er muss seine Zelle mit Hans Hoffmann teilen. Der liebt Männer, er steht dazu und er lässt sich weder vorschreiben, wen er zu lieben hat, noch was für ein Leben er zu leben hat. Aus diesem Grund sitzt er auch mehrfach im Gefängnis, jedesmal wegen dem Verstoss gegen den Paragrafen 175. Aus der anfänglichen Ablehnung, entwickelt sich zwischen Hans und Viktor bald eine Freundschaft.