RUSSLAND: Trotz richterlichem Verbot - LGBTI+ Organisation meldet sich zurück

RUSSLAND: Trotz richterlichem Verbot - LGBTI+ Organisation meldet sich zurück
Bringt it on, we say: Die grösste russische LGBTI+ Organisation hat genug von den Repressionen durch das Regime von Putin und meldet sich trotz richterlichem Verbot zurück. Und sie haben Grosses vor und scheuen dabei auch nicht davor zurück, direkt auf Konfrontationskurs mit der russischen Regierung zu gehen.

Sie wurden als fremde Agenten bezeichnet und im vergangenen Jahr durch ein Gericht verboten. Nachdem man nun die neue Ausgangslage analysiert hat, und nachdem sich die Situation für die queere Community durch die massive Verschärfung des Anti-LGBTI+ Propagandagesetz durch das Regime Putins abermals  verschlechterte, entschied sich die Sphere Foundation, zu der auch das LGBT Network Russia gehört, sich neu zu gründen und auch ohne offizielle Bewilligung die Arbeit wieder aufzunehmen.

Trotz des enormen, persönlichen Risikos, welches mit der Arbeit für die Sphere Foundation und das LGBT Network Russia verbunden ist, hätten nur sehr wenige Mitglieder die beiden Organisationen verlassen und das Kernteam sei erhalten geblieben, erklärte die Leiterin der Sphere Foundation, Dilya Gafurova. Sie alle haben die LGBTI+ Community vor Ort während der vergangenen elf Jahre tatkräftig unterstützt, und zwar hätten sie sich öffentlich gezeigt und auch Lobbyarbeit übernommen und die Bevölkerung für queere Anliegen sensibilisiert.

Arbeit gibt es sehr viel für die beiden Organisationen: Bereits 2013, kurz nach der Gründung, hat Vladimir Putin die erste Phase des heutigen Anti-LGBTI+ Propagandagesetzes eingeführt und damit sämtliche queeren Inhalte aus der Öffentlichtkeit, den Medien und dem Internet verbannt, was von Minderjährigen hätte eingesehen werden können. Damit wurde es nicht mehr möglich Prides durchzuführen, Aufklärung oder Unterstützung beim Coming out von Jugendlichen zu betreiben oder Demonstrationen/ Protestaktionen für LGBTI+ Rechte durchzuführen.

Dieses Gesetz wurde nun am 5. Dezember 2022 nochmals massiv verschärft, indem sämtliche queeren Inhalte im Alltag, in den Medien und im Internet verboten wurden, und zwar auch für Erwachsene. Es wird zwar, wie bereits in der ersten Fassung aus dem Jahr 2013 nicht explizit von LGBTI+ Inhalten gesprochen, doch es ist von der Verbreitung von "nicht traditionellen Werten" die Rede, was einer Umschreibung von queeren Inhalten entspricht.

International wurden diese Gesetz strikte verurteilt und kritisiert, und zwar vom Ausschuss zum Schutz des Kindes bei den Vereinten Nationen über Amnesty International bis hin zu Human Rights Watch und vielen weiteren Organisationen.

Wie Dilya Gafurova von der Sphere Foundation erklärt, sei dieses Anti-LGBTI+ Propagandagesetz Teil einer ideologischen Konfrontation mit dem Westen. Russland und seine Abgeordneten stellen sich dabei auf den Standpunkt, dass "LGBTI+ durch die Einflussnahme des Westens entstehen". Dabei nutzen die Politiker:innen auch gerne Kriegsrhetorik, indem sie diesen Vorgang als "hybriden Krieg" bezeichnen. Die Anfeindungen, die Schikanen und damit verbunden auch die Gewalt gegen queere Menschen in Russland hat seither stark zugenommen und ihre Lebenssituation hat sich massiv verschlechtert.

Dem will sich nun die Sphere Foundation und damit auch das LGBT Network Russia wieder annehmen. Und sie zeigen sich kämpferisch: Die Formulierung dieser neuen Gesetz sei derart schwammig, dass sie von der Regierung nach belieben ausgelegt werden könne. Man wolle nun die Bevölkerung motivieren, sich nicht mundtot machen zu lassen, ihre Meinung offen zu äussern und auch ihren Unmut und ihre Unzufriedenheit offen auszudrücken.

Dass es schwierig werden könnte und dass es heftigen Gegenwind aus der Regierung Putin geben wird, ist sich Dilya Gafurova bewusst, doch sie und ihre Mitstreiter:innen zeigen sich kämpferisch. Man werde nicht von seinen Idealen abrücken und kapitulieren, und man sei bereit, es mit der russischen Regierung aufzunehmen: "Bring It On, We Say." Rechtliche und psychologische Hilfe und Unterstützung für queere Menschen sei durch das neue Propagandagesetz nicht verboten - und dürfe auch nicht verboten werden.

Die Auswirkungen des neuen Gesetzes sind trotzdem längst im Alltag zu spüren: Gegen einen Verlag, welcher Bücher mit LGBTI+ Inhalten und Charakteren veröffentlicht, wurden Ermittlungen aufgenommen, das einizige internationale LGBTI+ Filmfestival des Landes, Side By Side, wurde verboten und Buchhandlungen und Bibliotheken in Moskau haben Bücher mit queeren Inhalten aus den Regalen genommen. Auch das einzige LGBTI+ Museum Russlands in St. Petersburg schloss seine Türen, trotz vielen Besucher:innen.

Die russische Medienregulierungs- und Zensurbehörde hat zudem durch das neue Gesetz die Befugnis alle Webseiten mit LGBTI+ Bezug zu löschen. Dies ist auch die grösste Befürchtung der Sphere Foundation und des LGBT Network Russia, dass ihre Seiten, sowohl Webseiten wie auch Social Media-Profile, immer wieder gesperrt werden, und dass es damit noch schwierig wird, die LGBTI+ Community zu erreichen und zu unterstützen.