TÜRKEI: Gerichtsgutachten zeigt Folter durch die Polizei während der Pride
Besonders in den vergangenen Jahren haben Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und seine islamisch geprägte Partei, die AKP, ihr Vorgehen gegen die LGBTI+ Community massiv verschärft. Dies, obwohl Homosexualität in der Türkei nicht verboten ist. Im Gegensatz zu früher konnten in den vergangenen Jahren auch keine Pride-Veranstaltungen mehr durchgeführt werden, ohne dass die Polizei eingeschritten ist und es zu gewaltsamen Zusammenstössen und Verhaftungen gekommen ist.
Wegen ihrer Teilnahme am zweiten Ankara Pride March im Juli 2022 in der türkischen Hauptstadt müssen sich 42 Personen vor Gericht verantworten. Ein Gerichtsgutachten eines Sachverständigen hat nun gezeigt, dass die harte Vorgehensweise der Polizei gegen die Demonstrierenden als Folter gewertet werden muss. Ein Experte hat auf der Grundlage von Videoaufnahmen durch die Polizei die gewaltsamen Vorgänge während der Pride begutachtet und beurteilt.
Im nun bei Gericht eingereichten Gutachten wird die Polizei schwer belastet. So sollen Sicherheitskräfte die Pride-Teilnehmenden geschlagen, getreten und auch Pfefferspray aus nächster Nähe eingesetzt haben. Das Vorgehen sei derart gewalttätig gewesen, dass sogar der Polizeichef, der vor Ort war, die Beamten mündlich ermahnt habe, nicht so hart vorzugehen. Auch die Zivilbevölkerung habe die Sicherheitskräfte dazu aufgerufen. Weiter, so geht aus dem Gutachten hervor, habe es bei der Pride-Veranstaltung mehr zivile und uniformierte Polizisten vor Ort gegeben als Demonstrierende.
Ein Beamter sei zudem von seinem Vorgesetzten aufgefordert worden, sich zu beruhigen, nachdem er auf äusserst gewalttätige Weise eine Person festgenommen und in ein Fahrzeug abgeführt habe. Auch beim Anlegen von Handschellen seien die Sicherheitskräfte teilweise äusserst brutal vorgegangen, wird im Bericht weiter kritisiert.
Bemängelt wurde zudem, dass das Videomaterial vom Anfang des Polizeieinsatz gefehlt hat und nicht zur Verfügung stand. Aus diesem Grund sei auch nicht klar, ob die Polizei die Demonstrierenden vor dem harten Eingreifen gewarnt und aufgefordert hat, die Demonstration aufzulösen.
Obwohl bereits mehrere Gerichtsurteile vorliegen, wonach LGBTI+ Menschen auch in der Türkei ein Recht auf Demonstrationen haben und demnach auch Pride-Veranstaltungen erlaubt sein müssen, geht die Polizei immer wieder mit voller Härte gegen die Demonstrierenden vor. Auch hat ein Gericht in Ankara bereits Pride-Teilnehmende freigesprochen, welche 2019 an einer Demonstration teilnahmen, welche von der Polizei ebenfalls brutal niedergeschlagen wurde. Ähnlich wie in Ankara, so kommt es auch in Istanbul seit einigen Jahren immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstössen mit der Polizei.