TÜRKEI: Verfassungsgericht fällt bahnbrechendes Urteil bezüglich Hassrede
Es war im November 2019 als LGBTI+ Aktivistin Efruz Kaya im Rahmen des Trans Day of Remembrance in einem Video zu sehen war. Damals wurde sie mit einer Vielzahl an hasserfüllten Berichten in den Medien konfrontiert. Dagegen wollte sie sich wehren und sie reichte daher Klage ein. Ihr Ziel: Medien soll es verboten werden, solch hasserfüllten Nachrichten über ihre Person verbreiten zu dürfen. Während sie vor einem Friedensgericht mit ihrem Anliegen noch scheiterte, so stellte sich nun das türkische Verfassungsgericht an ihre Seite.
Das Urteil richtete sich vor allem an die Nachrichtenagenturen Yeni Akit, Doğru Haber und İlke, welche nach der Veröffentlichung des Videos mit ihren Berichten direkt auf die Geschlechtsidentität von Kaya abzielten. Darauf stellte sie mit Unterstützung der Media and Law Studies Association (MLSA) einen Antrag beim Friedensgericht, damit diese Artikel gelöscht werden müssen, was dieses jedoch abgelehnt hat. Nun kippte aber das Verfassungsgericht diese Enscheidung.
Wie die Richter erklärten, habe das Friedensgericht die Rechte von Efruz Kaya verletzt, indem es sich geweigert habe, gegen sie gerichtete, queerfeindliche Inhalte zu sperren. Dabei wird im Urteil auf den Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention hingewiesen, der die Achtung der Privatsphäre und des Familienlebens schützt. Es ist somit das erste Mal, dass ein Gericht das Versagen verurteilt, Hassreden gegen queere Menschen zu verhindern.
Das Verfassungsgericht veranlasste nun die Löschung dieser Berichte durch die Nachrichtenagenturen. Weiter sprachen die Richter ihr auch noch 10‘000 Türkische Lira als Schadenersatz zu, dies entspricht rund 280 Schweizer Franken.
In den Berichten, welche die Nachrichtenagenturen veröffentlichten, wurde Kaya unter anderem als „LGBT-Perverse“ und „homosexuelle Abweichlerin“ bezeichnet. Damit befeuern die Medien die ohnehin bereits stark zunehmende LGBTI+ feindliche Rhetorik in der Türkei, welche von Politiker:innen bis in die höchsten Ämter genutzt wird.
Gleichgeschlechtliche Aktivitäten sind in der Türkei nicht verboten, doch LGBTI+ Feindlichkeiten sind weit verbreitet. Obwohl Gerichte immer wieder das Recht auf Pride-Veranstaltungen unterstreichen, bekommen die Veranstaltenden keine Bewilligungen mehr erteilt. Gehen queere Menschen dann trotzdem auf die Strasse, dann werden sie mit roher Polizeigewalt konfrontiert und verhaftet. Die Politik unter der Regierung Erdogan versucht zudem immer mehr auch die Sichtbarkeit der Community einzuschränken, etwa indem queere Themen an Schulen verboten werden und an deren Stelle traditionelle Ansichten propagiert werden sollen.