HINTERGRUND: Anwar Ibrahim, der neue Premierminister von Malaysia, ist endlich an seinem Ziel
Er hat viel Charisma und obwohl er in den vergangenen Jahrzehnten durch die Hölle ging, hat er nichts von seinem Herzblut und Engagement für die Politik verloren. Nun ist der 75-Jährige endlich an seinem Ziel angekommen: Am Donnerstag (24. November) wurde er von König Sultan Abdullah Sultan Ahmad Shah als Premierminister des Landes vereidigt - erstmals seit 30 Jahren Politik auf nationaler Ebene, und obwohl er eigentlich bereits mehrfach die Wahlen gewonnen hat. Weiter als zum Vize-Premierminister in den 1990ern und zum Finanzminister hat er es bislang nicht geschafft.
Er gilt als moderat und versöhnlich, und er betont in seiner Rede, dass er der Premierminister für alle Religionen und alle Ethnien sein wolle. Diese Politik verfolgt er bereits seit Jahrzehnten, teilweise eingespannt in der Regierung, meist aber in der Opposition und teilweise gar aus dem Gefängnis. Diese Haltung zeigt sich auch in Bezug auf die Anliegen von LGBTI+, denn Anwar Ibrahim setzt sich diesbezüglich für malaiische Verhältnisse für eher fortschrittliche Reformen ein.
Aufgrund der muslimischen Mehrheit im Land ist es insbesondere in der jüngeren Vergangenheit immer wieder zu Razzien und zur Verfolgung von queeren Menschen gekommen. Haftstrafen oder gar Körperstrafen waren die Folge, denn in Malaysia können gleichgeschlechtliche Aktivitäten derzeit mit einer Maximalstrafe von bis zu 20 Jahren Haft belegt werden. Anwar Ibrahim hat diesbezüglich stets erklärt, dass er zwar die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ablehne, doch die archaischen, sogenannten Sodomie-Gesetze müssten abgeändert werden.
Anfänglich noch liberaler, so erklärte er 2015 in einem Interview gegenüber der BBC, dass er Homosexualität zwar nicht vollständig legalisieren möchte, aber er wolle die Gesetze dahingehend ändern, dass sichergestellt wird, dass private Angelegenheiten nicht mehr bestraft werden. Dies soll auch für gleichgeschlechtliche Aktivitäten in den eigenen vier Wänden gelten. 2018 änderte er seine Rhetorik aber erneut und rief alle Glaubensgruppen dazu auf, sich der Anerkennung von LGBTI+ zu widersetzen, welche die "Superliberalen" fordern. Diese Aussage muss aber im Kontext des damaligen Zeitpunkts betrachtet werden, denn es war das Jahr seiner Haftentlassung, da er damals erneut wegen angeblicher, gleichgeschlechtlicher Handlungen im Gefängnis sass.
Das Thema Homosexualität begleitet Anwar Ibrahim nämlich schon seit Jahrzehnten, obwohl er mit einer Frau verheiratet ist und insgesamt sechs Kinder hat: Er wehrte sich stets mit Vehemenz dagegen und bezeichnete die Anschuldigungen gegen ihn als politische Rufmordkampagne, doch trotzdem wurde er zweimal wegen angeblichen, gleichgeschlechtlichen Handlungen verurteilt. Auch internationale Beobachter:innen beurteilten diese Hetzkampagne gegen Anwar als politisch motiviert. Da passt es auch, dass der Politiker selber stets kritisierte, dass die Sodomiegesetze für Diskriminierung und Intoleranz missbraucht werden können.
Ende der 1990er Jahre wurde er erstmals wegen angeblicher Korruption und gleichgeschlechtlichen Handlungen angeklagt, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Er beteuerte dabei aber stets seine Unschuld und sprach von einer politisch motivierten Schmierkampagne. Das Oberste Gericht hob das Urteil schliesslich 2004 auf und entliess Anwar aus der Haft. 2014 gab es kurz nach seinem theoretischen Wahlsieg quasi ein Déja-vu: Der Politiker wurde wieder der Homosexualität beschuldigt, und erneut wurde er verurteilt, diesmal zu fünf Jahren Haft. 2018 kam er schliesslich frei.
Politisch hielt er seine Füsse während all der Jahrzehnte aber nie still: 2013, kurz bevor die erneuten Anschuldigungen gegen ihn auftauchten, holte er mit 53 Prozent der Stimmen zwar die Mehrheit, erhielt aber knapp nicht genügend Sitze im Parlament. Auch bei den darauffolgenden Wahlen 2018 hatte er eigentlich gewonnen, doch sein Koalitionspartner lief nach dem Wahlgang zur Opposition über und wurde selber Premierminister. Politisch turbulente Jahre folgten in Malaysia und ein Premier nach dem anderen kam an die Macht.
Bei den jüngsten Parlamentswahlen vor wenigen Tagen konnte zwar weder das Bündnis Pakatan Harapan (Allianz der Hoffnung) von Anwar Ibrahim, noch die Perikatan Nasional (Nationale Allianz) des amtierenden Premiers Muhyiddin Yassin die nötige Mehrheit erzielen, doch die drittplatzierte United Malays National Organization (Umno) spielte nun das bekannte Zünglein an der Waage. Die Partei teilte mit, dass man sich für eine Einheitsregierung ausspreche, aber nur, wenn Muhyiddin Yassin nicht als Premier eingesetzt werde, und sofern auch der König dahinter stehen würde.
Um eine Regierungsbildung zu ermöglich, hat sich der aktuelle König Sultan Abdullah Sultan Ahmad Shah nun mit den Sultanen aus neun Bundesstaaten getroffen und sie haben den Vorschlag der Partei Umno angenommen und Anwar Ibrahim zum neuen Premierminister des Landes ernannt. Nach 30 Jahren, darunter insgesamt zehn Jahren in einem Gefängnis in Einzelhaft, ist Anwar Ibrahim somit endlich an seinem Ziel angekommen - er wurde als Premierminister des Landes vereidigt.
Doch auch in Malaysia sieht die Zukunft derzeit nicht besonders rosig aus: Die Wirtschaft ist schwach, die Inflation ist hoch und sein politischer Widersacher Muhyiddin Yassin hat bereits eine Klage eingereicht, da er die Entscheidung des Königs nicht akzeptieren will. Anwar habe nicht die nötige Mehrheit der Stimmen erreicht und sei daher nicht berechtigt, zu regieren. Die Sicherheitsvorkehrungen im Land wurden mittlerweile erhöht und man bereitet sich auf erneute Unruhen vor. Anwar erklärte dazu nun, dass die Demokratie auch in Malaysia, wie überall auf der Welt, ziemlich zerbrechlich sei. Kaum jemand kann das wohl besser beurteilen als er selber...